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Roman 1 Das GEHEIMNIS der WEINGRÄFIN – historischer Roman
Mittelalter Gratis Leseprobe: „Blick ins Buch“ bei Amazon: Video: http://www.youtube.com/watch?v=TcD3SamsvNk Liedtext: Die Brombeeren
♫ C III C G C G C Es wollt ein Mägdlein frühaufstehn, drei
Viertel Stund vor Tag, C F G 7 G C und wollt am
Fluss spazieren gehn, ja, spazieren gehn, G C wollt Brombeern pflücken ab. :| C G C G C Und als sie nun
zum Ufer kam, da naht des Försters Knecht: C F G 7 G
C `Ei Mägdlein, scher dich aus der Au, scher dich aus der Au, G C mei´m Herrn, dem
ist´s nicht recht.´ :| C G C G
C Und als sie ein
Stück weiterkam, da naht des Försters Sohn: C F G 7 G C `Ei Mägdlein, setz dich nieder, setz dich nieder, G C zupf dir dein Körblein voll.´ :| C G C G C `Ein Körblein voll, das brauch ich nicht, eine Handvoll ist
genug. C F G 7 G C In meines
Vaters Garten, ja Vaters Garten, G C da wachsen
Brombeere g´nug.´ :| C G C G C So schön wie
braune Beeren sah sie sein´ Äuglein stehn. C F G 7 G C Wer kann in
schöner Pegnitzau, schöner Pegnitzau, G C den Beeren widerstehn? :| C G C G C Als drei
Viertel Jahr vergangen war´n, die Brombeeren wurden
groß, C F G 7 G C da hat das
schwarzbraun Mägdelein, schwarzbraun Mägdelein, G C ein Kind auf
ihrem Schoß. :| C G C G C Sie sah es mit Verwundrung an: `Ei, was hab denn ich getan? C F G 7 G C Kommt das wohl
von den Brombeern her, von den Brombeern
her, G
C die ich gepflücket ha´n?´ :| C G C G C Drum wer ein ehrlich´s Mädel will ha´n, der
schick sie nicht zum Fluss. C F G 7 G C Am Ufer wachsen
die Brombeern, wachsen die Brombeern, G C und reifen im
Überfluss. :| Muscatblüt-Version – In vielen
Volksliedern haben sich erotische Gefühle und Bedürfnisse symbolhaft ausgedrückt. Roman 2 JESUS & MARIA MAGDALENA Leseprobe: „Blick ins Buch“ - http://www.amazon.de/JESUS-MARIA-MAGDALENA-ebook/dp/B0091770EW/ref=sr_1_23?s=digital-text&ie=UTF8&qid=1345695580&sr=1-23 Roman 3 http://www.amazon.de/Afghanistan-Dragon-ebook/dp/B0062K1VSW/ref=pd_rhf_p_t_1
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Systemen. © Norbert F. Schaaf 2011 Die Schlucht lag einen Kilometer westlich von Karambar. Der Trampelpfad, der von der Siedlung zu ihr führte, zweigte kurz vor den ersten Felsen nach Norden ab und verlief dann über langsam ansteigendes Gelände in die Gegend, in der die Bewohner ihre Mohnfelder angelegt hatten. In der Schlucht war es kühl, und es herrschte selbst am hellen Tag ein dämmeriges Licht, weil die Sonne von den flachen ausladenden Kronen der niedrigen Büsche abgefangen wurde, die oberhalb der Felsen wuchsen. Es war einer jener Schluchten, deren safranfarbige, rötlich und violett schimmernde Felsmassen sich fast berührten und nur einen schmalen Spalt knallblauen Himmels freigaben. In der schwindelerregenden Höhe drohten mächtige Steinklötze, als warteten sie nur darauf, von irgendwelchen Unholden auf fremde Eindringlinge hinabgeschleudert zu werden. Ging man durch die Schlucht weiter, einige hundert Meter, gelangte man wieder in offenes Gelände, das stetig anstieg, bis dorthin, wo die Grenze zu Pakistan zum Greifen nahe schien. Es war kein weiter Weg dorthin, kaum eine halbe Stunde musste man gehen, doch die Leute aus Karambar konnten nicht sagen, wo genau die Grenzlinie verlief. Sie war nicht markiert, und wenn sie einmal markiert gewesen sein sollte, so hatte der dschangal diese Markierungen längst überwuchert. Ein breiter werdender Pfad verlief in südlicher Richtung, in das Gebiet, von dem die Leute aus Karambar wussten, dass dort ein oder zwei Tagesmärsche entfernt die ersten Siedlungen der Nuristani lagen. Kleine Dörfer, verlassen wirkend, in tiefem Gehölz versteckt, fast ohne jede Verbindung mit der Umwelt. Auch die Lage dieser Dörfer war nur ungenau zu bestimmen, denn die Nuristani verfuhren ebenso wie die Paschai, die weiter im Norden lebenden Gujar und andere bei der Anlage ihrer kleinen Felder, auf denen sie lebensnotwendige Nahrungsmittel zogen, immer noch nach der alten Methode der Brandrodung. Sie zündeten in der trockenen Jahreszeit ein Stück Dornenbuschland an, ließen es abbrennen, arbeiteten die Asche in die Erde ein und bebauten dann später diesen Boden. Sie ackerten den Boden nicht um, und sie düngten ihn auch nicht. Nach spätestens zwei oder drei Jahren gaben die Felder keine nennenswerten Ernten mehr her. Dann pflegten die Nuristani einfach ein weiteres Stück Buschwald abzubrennen und darauf neue Felder anzulegen. Einen geeigneten Platz fanden sie oft erst mehrere Kilometer von der alten Ansiedlung entfernt; daraus hatte sich die Sitte entwickelt, die alte Siedlung einfach zu verlassen und in der Nähe der neuen Felder eine neue Siedlung anzulegen. Da sie stets mit dem Namen der verlassenen bezeichnet wurde, verschob sich so im Verlaufe von Jahren die Lage eines einmal auf der Landkarte festgehaltenen Dorfes ganz erheblich, und es war von Leuten, die sich nach der Landkarte orientierten, einfach nicht mehr zu finden. Selbst in Karambar ließe sich derzeit über die Lage der nächsten Siedlung auf pakistanischer Seite nur sehr ungenaue Angaben machen. Im Grunde interessierte das auch niemanden. Die nomadischen Nuristani waren eigen. Ihre Sprache war anders. Ihre Sitten unterschieden sich von den anderen. Handel mit ihnen zu treiben lohnte kaum. Man hatte keine Feindschaft mit ihnen, denn es gab für eine Feindschaft keinen Grund. Sie waren Grenzgänger zwischen Afghanistan und Pakistan. Erst in den letzten Jahren war man wieder darauf aufmerksam geworden, dass es jenseits der Grenze Vorgänge gab, die sich auf die Siedlungen diesseits der Grenze auswirkten. Das Dutzend Männer, das am Nachmittag, von Pakistan kommend, in die Schlucht zog, die zwischen Karambar und der pakistanischen Grenze lag, führte Kamele mit, die in Plastiksäcke verpacktes Rohopium trugen. Der Anführer, ein kleiner, säbelbeiniger Mann von einem Stamm der Panjshiri, war mit einem M-16-Gewehr bewaffnet, die übrigen trugen Maschinenpistolen. Sie waren in Uniformen gekleidet, wie sie von den US-amerikanischen Soldaten im Irakkrieg getragen wurden. Nur Abzeichen wiesen sie nicht auf. Die Kameltreiber, die ihre Kopfbedeckungen über Stirn und Ohren gezogen und die Gesichter in den Pelzkragen vergraben hatten, wechselten kein Wort miteinander, als müssten sie ihre Kräfte sparen, um gegen die Kälte der Höhe und der Freveltat zu bestehen. Der Anführer öffnete einen Sack und streute eine Wegspur über die ihren Pfad kreuzende Gletscherzunge, die so glatt war, dass die Kamele sich sonst nicht darauf wagen konnten. Der Berg war äußerst steil. Die Tragtiere mit ihren schaukelnden vorderen Höckern sträubten sich, und die Kameltreiber mussten sie anfeuern. Die Karawane hielt alle fünfzig Meter an, um Atem zu schöpfen. Urplötzlich stürzte das letzte Kamel am Rand des Abgrundes, wälzte sich jedoch instinktiv zur Seite und einen Meter zurück. Unter Einsatz ihres Lebens befreiten die Kameltreiber das Tier von seiner Last, damit es wieder aufstehen konnte. Am östlichen Ausgang der Schlucht hob der Anführer die Hand und ließ den Trupp halten. Er blickte sich in der Gegend um und vergewisserte sich, dass keine Menschen in der Nähe waren. Banshef Mehdoor war ein vorsichtiger Mann, obwohl er noch jung war, vielleicht neunundzwanzig Jahre. Das Dorf, aus dem er stammte, lag mehr als hundert Kilometer von dieser Schlucht in Afghanistan entfernt. Banshefs Vater Hamud, ein gesuchter Autobusräuber, hatte schon den US-Amerikanern als Pfadfinder ihrer Kommandotrupps gedient, damals, als die Russen Afghanistan besetzten. Mittlerweile führte sein Sohn einen Trupp Bewaffnete, wiederum im Dienst der US-Amerikaner. Er zog mit seinen Leuten nicht planlos durch die Berge. Zu Hause, in Irshad, lebte Kaplan Gabriel. Sein Name war für die Einheimischen irreführend. Er arbeitete als Heilpraktiker und Entwicklungshelfer, war aber tatsächlich ein Pater und lehrte die Paschai ebenso heimlich wie gesetzwidrig das Evangelium, worauf der Koran beruht, seit mehr als zwanzig Jahren. Wer ihn allerdings näher kannte, der wusste, dass in Kaplan Gabriels Lehmhaus ein kleines, leistungsfähiges Fernsprechgerät stand, mit dem er täglich Verbindung zu einer US-amerikanischen Dienststelle in Kabul hatte. Diese Dienststelle war es, die den Trupps der Panjshiri die Waffen lieferte und die Munition, zuweilen auch Reis oder andere Lebensmittel, Tabak und jenes Getränk, das zwar sowohl schneller berauschte als die einheimische vergorene Stutenmilch, freilich auch besser schmeckte, den Whisky. Kaplan Gabriel besaß genaue Karten von Nordpakistan, auf denen jede Straße, jeder Brückensteg und selbst die kleinste Siedlung verzeichnet waren. Er empfing mit seinem Satellitentelefon regelmäßig Nachrichten aus Peschawar und auch aus Eshkashem am Eingang des Wakhan-Korridors zu China, und immer wenn von irgendeinem Stützpunkt Soldaten ausrückten, um gegen die Marodeure und Schmuggler in den Bergen eingesetzt zu werden, erfuhr Kaplan Gabriel das einige Tage vorher. Von Zeit zu Zeit wählte Kaplan Gabriel aus den jungen Burschen, die zu den Banditentrupps gehörten, die intelligentesten aus und brachte ihnen das Alef-beh bei, wobei er ihnen gleichzeitig die Fähigkeit vermittelte, sich in der Sprache ihrer Ausbilder einigermaßen zu verständigen. War das getan, verschwanden diese jungen Burschen für etliche Monate. Durch Afghanistan wurden sie nach Usbekistan gebracht, wo sie auf US-amerikanischen Truppenübungsplätzen militärisches Training absolvierten. Wenn sie heimkehrten, übernahmen sie die Führung weiterer Trupps von bewaffneten dozds. Auch Banshef war in Usbekistan ausgebildet worden, was ihm unter seinen Männern unbegrenzte Autorität eingebracht hatte. Als er ihnen jetzt befahl, die Tiere im Schutz der Schlucht festzubinden, sie abzuladen und zwei Posten oberhalb der Schlucht aufzustellen, befolgten sie seine Anweisung ohne Widerrede. Einer öffnete einen Behälter mit Rationspackungen, und der Trupp ließ sich zur Rast in der Schlucht nieder. Doch die Ruhe dauerte nicht lange, denn schon nach einigen Minuten meldete der Posten am östlichen Zugang das Nahen eines Mannes. Banshef kletterte auf einen Felsen und hob sein Fernglas an die Augen. Bald konnte er die Gestalt erkennen, die sich durch das fast mannshohe Buschwerk näherte. Es war Jalaluddin. Der Anführer ging ihm entgegen. Als er nahe genug heran war, rief er ihn an: „He, Jalaluddin!“ Der Alte blieb erschrocken stehen. Schließlich erkannte er Banshef und sagte vorwurfsvoll: „Du bist das! Warum lauerst du mir auf?“ Der Anführer grinste vergnügt. „Wir sind eben angekommen. Hatten noch keine Zeit, einen Mann ins Dorf zu schicken.“ „Was wollt Ihr?“ „Austausch“, antwortete Banshef knapp, aber mit einem Blick, der eine gewisse Entschlossenheit in Dingen des eigenen Vorteils erkennen ließ. Jalaluddin gab einen mürrischen Laut von sich. Wie immer, dachte er. Sie kommen hierher, und wir wissen nichts. Dann kommt eine Maschine, und wir haben die Arbeit. Sie machen das mit den Nordamerikanern über ihre Funkgeräte ab, und wir spielen die Handlanger. Wir decken sie. Was für ein widerliches Spiel das geworden ist! „Ich will auf die Felder“, sagte Jalaluddin. Der Anführer entgegnete: „Dann geh nur. Wir machen das mit Mir Khaibar ab.“ Als er hörte, dass Mir Khaibar nicht da war, zuckte er die Schultern. Jalaluddin erzählte ihm nichts von Mir Khaibars Schicksal. Er sagte nur brummig: „Ich werde zurückgehen. Es ist sonst weiter niemand im Dorf.“ „Auch nicht euer einbeiniger, armloser Dschinn?“ erkundigte sich Banshef. „Nein, nein“, beeilte sich Jalaluddin zu schwindeln, „heute nicht. Ist heute unten im Tal.“ Banshef grunzte zufrieden, griff in die Brusttasche seiner Tarnfleckjacke und zog ein Päckchen US-amerikanischer Zigaretten heraus. Als Geste der Friedfertigkeit hielt er Jalaluddin die Packung hin, der sich einen Stängel nahm und ihn anrauchte. Er war gewohnt, starken, grobgeschnittenen Landtabak in einer aus Bambus gefertigten Pfeife zu rauchen, doch er schätzte den Duft, der aus diesen amerikanischen Zigaretten aufstieg. Manchmal hatten die Piloten ihm ein paar Päckchen zugesteckt. Die dozds von jenseits der Grenze trugen stets einen großen Vorrat davon bei sich. Jalaluddin wusste, dass die Banditen sie meist dazu benutzten, schnell einen Zug Opium zu machen. Auch jetzt tat der Anführer das. Er nahm aus der anderen Tasche eine kleine Dose, die mit einem schmutzigweißen Pulver gefüllt war, tupfte das Ende seiner Zigarette in dieses Pulver und brannte sie mit seinem tchaqmaq, dem im Hochgebirge als wertvollsten Besitz geltenden Flintstein, an. Er machte einen tiefen Zug und lächelte. Bei dem Pulver handelte es sich um minderwertiges Heroin, das die Panjshiri in primitiven Laboratorien herstellten. Obwohl sie von chinesischen Chemikern dazu angelernt worden waren, gelang ihnen das Endprodukt nicht vollkommen. Es war nicht mit dem hochwertigen Heroin zu vergleichen, das in den großen Zentren der Opiumverarbeitung hergestellt wurde, und es diente den dozds nur zum eigenen Gebrauch. „Du jagst den Drachen am helllichten Tag?“ fragte Jalaluddin mit gerunzelter Stirn. Für gewöhnlich rauchten die Leute den chandu, das Rauchopium, nur am Abend, jedenfalls hier in den Bergen, und sofern sie es überhaupt taten. „Ein bisschen“, erwiderte Banshef. „Ein Zug jetzt, ein Zug in ein paar Stunden. Es erleichtert den Marsch über die Berge.“ Jalaluddin bezweifelte das, denn obgleich die Droge imstande war, das körperliche Befinden für kurze Zeit zu heben, ließ sie doch die Leistung schon bald erheblich absinken. Doch Jalaluddin sagte nichts. Er erkundigte sich nur: „Du sagst, ihr wollt austauschen. Habt ihr etwas mit?“ „Zehn Säcke.“ „Ihr könnt sie jetzt gleich ins Dorf tragen“, schlug Jalaluddin vor. „Mir Khaibars Keller ist leer.“ Es wiederholte sich jedes Mal das gleiche. Die Piloten hatten von ihrem Boss in Kabul die strenge Anweisung, mit den Panjshiri-Leuten nicht in Kontakt zu kommen. Das war vor langer Zeit so vereinbart worden, und jeder hielt sich daran. Sie brachten mit dem Hubschrauber ihre Fracht, die Panjshiri-Leute deponierten zuvor ihr Opium in dem Keller unter Mir Khaibars Haus. Wenn die Piloten sich überzeugt hatten, dass das Opium in dem Erdkeller bereitstand, zogen sie sich zurück. Den Rest erledigte Mir Khaibar mit den Panjshiri-Leuten. Er schaffte das Opium zum Helikopter, und die Panjshiri-Leute luden die mitgebrachte Ladung selbst aus. Mr. Oates, der vor Jahren mit Mir Khaibar diese Art des Austausches vereinbart hatte, wusste wohl, weshalb er so verfahren ließ. Niemand sollte je behaupten können, dass die Piloten der Air America mit den Panjshiri-Rebellen handelten. Das tat Mir Khaibar. Keiner der Panjshiri-Rebellen würde jemals, falls er gefangengenommen und verhört würde, beweisen können, er habe einen amerikanischen Piloten auch nur gesehen. Und keiner der Piloten würde seinerseits einen der Banditen beschreiben können, mit denen Mr. Oates Handel trieb. Selbst wenn man einen der Piloten zu einer Aussage über seine Tätigkeit brächte, würde er nur erklären können, er habe Kisten mit unterschiedlichem Inhalt in eines der notleidenden Dörfer in den Bergen des Nordens geflogen und sie dort an den Dorfvorsteher übergeben. Das war klug ausgedacht. Nichts war zu beweisen. Wenn man Mr. Oates nach dem Inhalt der Kisten fragte, würde er sogar behaupten können, es habe sich dabei um Hilfsgüter gehandelt. Jalaluddin rauchte die Zigarette zu Ende, während Banshef zehn Leute bestimmte, die die Säcke zum Dorf tragen sollten. Als sie damit abzogen, folgte Jalaluddin ihnen. Banshef blieb zurück. Er sah auf seine Uhr und entschloss sich, noch ein wenig zu schlafen, bis die Maschine kam. Die Panjshiri-Leute hielten sich nicht lange im Dorf auf. Sie luden die Säcke mit dem Opium ab und machten sich wieder davon. Es dämmerte und die Berge schienen ins Unermessliche zu wachsen, während alles andere zusammenschrumpfte. Jalaluddin blickte Banshefs Trupp nach. Menschen und Tiere drängten sich immer kleiner werdend an die Flanke des Berges, bis sie außer Sicht gerieten. „Die Berge sind so hoch“, bedachte Jalaluddin das hiesige Sprichwort, „dass sogar die Vögel ihren Gipfel nur zu Fuß überwinden können.“ Jalaluddin begann indes die Säcke zurechtzustellen. Der Keller war leer, bis auf einen nicht ganz vollen Sack Rohopium, der in einer Ecke stand. Man hatte ihn zurückbehalten, weil der Stoff minderwertig war. Er stammte noch von der letzten Ernte, damals hatte ein unerwartet auftretender Sturm in der Nacht zwischen dem Anritzen der Kapseln und dem Abschatten des ausgetretenen Saftes eine Menge Schmutz und Laubreste über ein Feld geweht. Als die Frauen am Morgen mit dem Abkratzen begonnen hatten, hatte es sich gezeigt, dass so viele Fremdkörper an dem ausgetretenen Seim haftengeblieben waren, dass der Stoff für den Handel unbrauchbar war. Man hatte das Feld trotzdem abgeerntet, doch seitdem stand der Sack mit dem Rohopium in Mir Khaibars Keller. Jalaluddin rückte ihn beiseite, so dass er später nicht etwa aus Versehen mit verladen werde, und legte auch noch ein paar herumliegende leere Plastiksäcke ordentlich zusammen. Als er wieder hinaufstieg, begann die Sonnenscheibe gerade hinter den Bergkämmen im Westen zu versinken. Violettes Grau überzog bereits die Osthänge. Jalaluddin horchte in den Himmel, doch noch war kein Flugzeuggeräusch zu vernehmen. Dafür erschien auf der Ebene, auf der sich der Landeplatz befand, Sanaubar. Sie hatte sich beeilt und den Weg von der Poststation in Shari-i-Buzurg ohne längere Rast zurückgelegt. Nun schlenderte sie mit lächelnden Augen auf Jalaluddin zu, und der Alte nahm wahr, dass sie vergnügt war wie immer, wenn sie einen Ausflug dieser Art gemacht hatte. „Ich bin leichtsinnig gewesen“, sagte sie lachend. „Ich hatte noch ein paar Afghani. Dafür habe ich eine bunte Postkarte gekauft, mit einem Bild vom Buzkashi-Feld in der Neustadt und dem letzten Hammelziehen in Faïzabad. Ich habe sie an Khaled geschickt.“ „Soso, an Khaled“, sagte Jalaluddin. „Was hast du ihm geschrieben?“ „Dass wir auf ihn warten – und dass er bald kommen soll.“ Jalaluddin hörte die Flugmaschine, lange bevor Sanaubar sie wahrnahm. Düster brummte er: „Das wäre sehr gut. Wir werden den Jungen brauchen.“ Sanaubar nahm seine Hand und wollte mit ihm zum Haus gehen. Sie hatte die Gewohnheit, an seiner Hand zu gehen, seit ihrer Kinderzeit nie ganz aufgegeben. Oftmals, wenn sie es tat, war es ihr gar nicht mehr bewusst. Nun aber erinnerte Jalaluddin sie daran: „Ich muss auf den Platz, mein Kind. Geh allein ins Haus.“ Sie wollte eine Frage an ihn richten, doch da hörte auch sie das Triebwerk. Die Felswände warfen das Echo ihres Lärms zurück. Es klang wie ferner Donner, der schnell näher rollte. „Sie kommen wieder?“ Jalaluddin machte eine Handbewegung in Richtung der entschwindenden Sonne. „Die Panjshiri waren schon da. An der Schlucht.“ Und er drängte Sanaubar: „Lauf ins Haus. Die Piloten brauchen dich nicht zu sehen. Wir sind allein, und man weiß nicht, auf welche Gedanken diese Kerle kommen, wenn sie wissen, dass du da bist.“
Abenteuer am Hindukusch Die Protagonistin ist
emanzipiert, statt sich dem Patriarchat
unterzuordnen, der Protagonist baut Brücken,
statt sie zu sprengen, und beide denken frei und
kritisch, statt sich in eine Ideologie zu
fügen. 7 Das Dorf Nicht lange nachdem sie die kleine
Oase verlassen hatten, sahen sie unter sich im Tal, kaum einen Kilometer
entfernt, ein kleines Dorf. „Du wartest hier“, sagte Alizee, „hast du Geld?“ Er nestelte aus einer
Gürteltasche einige Geldscheine. „Hast du nicht mehr?“ fragte
sie. Er kramte noch einmal soviel Scheine heraus, sie nahm sie ihm anstandslos ab.
„Ich bin so schnell als möglich wieder da“, sagte sie und lief zum Dorf
hinunter. Hermann blickte ihr lächelnd
nach und setzte sich unter einen Maulbeerbaum. Nach einer kleinen halben Stunde
schon kam sie zurück, über dem Arm die erstandenen Kleidungsstücke. „Viel war für das Geld nicht zu
bekommen. Aber fürs erste muss es reichen“, sagte sie. Hermann warf den einfachen,
bereits getragenen, leicht verschlissenen Chapan
über und verbarg sein helles rotblondes Haar unter der randlosen Kappe aus
abgeschabten Ziegelleder. „Ab jetzt mimst du den weisen
Albino“, gebot Alizee, „der seinen Mund nicht
unnötig aufmacht.“ „Vielen herzlichen Dank“, sagte
Hermann. „Das Geld ist alle“, sagte Alizee, „hast du nicht noch mehr?“ Es waren nur noch wenige
Scheine aus der Geldtasche zu holen. „Das muss reichen“, sagte Alizee, „wir haben eine Chance, sie zu vermehren.“ „Wie das?“ fragte Hermann. „Ich habe eben erfahren, dass
noch am Vormittag einer dieser hierzulande üblichen Tierduelle stattfindet.“ „Hahn gegen Hahn?“ „Nein.“ „Widder gegen Widder?“ „Nein.“ „Hund gegen Wolf etwa?“ „Falsch. Das gibt es alles
hier. Aber ganz falsch.“ „Also wer gegen wen? Sag doch
schon!“ „Das errätst du nie!“ „Jetzt aber raus damit!“ „Willenskraft gegen
Siegeswillen.“ Hermann sah sie verständnislos
an. „Das bedeuten die Namen der
Kämpfer. Und es sind ... Kamele. Genauer gesagt: Brünstige Kamelhengste. So
etwas hast du noch nicht gesehen.“ „Muss ich auch nicht.“ „Diesmal schon. Wir brauchen
Geld.“ „Du meinst, wir sollen auf
einen dieser geilen Trampeltiere Geld verwetten?“ Alizee nickte. „Es muss sein. Oder siehst du eine andere
Möglichkeit der Geldbeschaffung? Einen Geldautomat suchst du hier
vergeblich.“ Hermann zuckte die Achseln,
konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen, und folgte Alizee hinunter in den kleinen Ort. Am anderen Ende des Dorfes
führte die Landstraße leicht ansteigend weiter zu einem kleinen natürlichen
Plateau, auf dem ein provisorischer Kampfplatz rechteckig mit durch dicke
Seile miteinander verbundenen Pfählen abgesteckt war. Der Boden war sandig,
an einigen Stellen wies er dichte, hohe Grasbüschel auf. Auf beiden
Schmalseiten waren geräumige Gatter errichtet, aufgeschüttete Rampen führten
zu ihnen hinauf. Der Platz mutete an wie eine Box-Arena mit erhöhtem Ring,
und war von allen Seiten rings herum für viele Menschen bestens einzusehen.
Unten am Rande, in gebührendem Abstand, saßen auf Kissen und Teppichen die
Honoratioren des Ortes und seine Ehrengäste. Als Alizee
mit Hermann den Platz erreichte, wurden die Ankömmlinge sogleich von einer
dichten Menschenmenge eingeschlossen. Die Leute gafften, staunten und
schwätzten, und mit einem Mal öffnete sich eine Gasse, wollte man doch den
Fremden selbstverständlich die gebotene Gastfreundschaft nicht schuldig
bleiben. Vor allem dem hellhäutigen Mann, verehrungswürdiger Albino, stand
natürlich ein Platz höchsten Ranges zu. Alizee
suchte gewissenhaft ein freies Kissen aus, mit der Sonne im Rücken, und
führte Hermann ehrerbietig zu dem aussichtsreichen Sitzplatz. Hermann bedankte sich
schweigend, aber gestenreich für die Höflichkeit
der Männer, die auseinandergerückt waren, um ihn durchzulassen. Neben ihnen,
zu beiden Seiten, hatten wohlbetuchte Männer Platz genommen, zweifellos
gewichtige Persönlichkeiten, auch körperlich. Nur der Mann zur linken Seite
war in ein fleckiges Gewand gekleidet, sein aufgedunsenes Gesicht abstoßend
mit einem geradezu gehässigen Ausdruck, der zerfranste graumelierte Kinnbart
ebenso lang wie ungepflegt. Freilich trug er den grünen Turban, den nur
Mekka-Pilger aufsetzen durften, was ihn weit auch über die Reichsten und
Mächtigsten emporhob. Hermann nickte ihm nochmals
dankend zu, worauf der abstoßende Mann eine Hand gen Himmel richtete. Plötzlich drängte sich ein
großer, beleibter Herr vorbei und nahm Hermann die Sicht, sodass er den
riesigen Raben mit blutrotem Schnabel und ebensolchen Krallen nicht sehen
konnte, der dicht über ihn hinwegflog. „Du bist ein Glückspilz“, sagte
Alizee leise. „Wir haben doch noch gar nicht
gewettet“, entgegnete Hermann. Alizee zog es vor zu schweigen und Hermann im Unklaren
darüber zu lassen, dass gerade der dicke Mann den Raben als das unheilvollste
aller Zeichen verdeckt und den bösen Fluch von ihrem Liebsten abgewendet
hatte. „Und doch ist es Glück“, besann
sich Alizee. „Denn nur in der Brunstzeit ist ein
Kamelhengst bereit, seinen rivalisierenden Artgenossen anzugreifen. Zufällig
sind gestern mit einer Karawane aus Badakhshan zwei
brünstige Kamele eingetroffen, zwei riesige, aggressive Hengste noch dazu.
Ihre Besitzer wollen mit ihnen ihre Reisekosten wieder hereinbekommen.“ Plötzlich blickte Hermann
leicht erschrocken auf, vom abermaligen Flügelschlag des unheilvollen Raben.
Hermann griente unbemerkt in sich hinein, er hatte schon davon gehört, dass
man in Afghanistan Schnabel und Füße eines Raben mit Lack einzufärben pflegte
und die Leute glauben machte, der Geist eines Kalifen wohne in diesem
schwarzen Vogel. Unversehens geriet die Menge
ringsum in Bewegung, alle standen grüßend auf, außer dem Dicken mit seinem
grünen Turban. Ein Mann undefinierbaren
Alters, aber sicher noch nicht alt, stolzierte durch die Menge. Sein Bart war
graumeliert und, im Gegensatz zu den anderen Männern, kurz und auch sehr
gepflegt, er trug einen europäischen Anzug und die hohe Persianerkappe, zwei
Uniformierte geleiteten ihn, wohl ranghohe Polizeioffiziere. „Der Distriktchef
geruht sich die Ehre zu geben“, raunte der fromme Dicke. „Dieser mickrige
kleine Beamte besitzt die Unverschämtheit, einen Hadj warten zu lassen. Er
zeigt nicht einmal Eile, der hat die Ruhe weg. Man muss sich ja nur einmal
die Augen ansehen von diesem spindeldürren Kerl.“ „Weshalb diese unheilige Hast?“
fragte ihn Alizee geradezu. „Und zudem verbietet
nicht eine Zeile des Korans dem Gläubigen, sich so man will von Kräutern zu
nähren“, fügte sie ironisch hinzu und zwinkerte Hermann zu, dem die
Drogensucht des Distriktchefs nicht entgangen war. „Ich bin extra des Spiels wegen
hierhergekommen, Bursche“, schimpfte der Dicke mit einem Ton unterdrückter
Leidenschaft in der Stimme und sah unverfroren zu dem Distriktchef
hinüber, in dessen bislang matten Augen plötzlich ein verzücktes Feuer glomm,
während er nervös seine Kette aus Lapislazulisteinen
durch die Finger gleiten ließ. Unvermittelt ging ein Raunen
durch die Menge. Tiere wurden die Rampen hinauf in die Gatter geführt. Auf
den Pfiff eines der Polizeioffiziere hin wurden die Gattertore geöffnet, und
zwei gewaltige brünstige Kamelhengste traten sich gegenüber in der Arena. Während die riesigen Tiere, das
eine schwarz, das andere dunkelbraun, sich voller Arglist und Aggression
belauerten, war die Menge längst vom Wettfieber ergriffen und fest in seinen
Klauen. Auch Alizee überlegte fieberhaft, auf welches
Tier sie ihr weniges Kapital setzen sollten. „Welchen Hengst wählst du?“
hörte sie einen der langbärtigen Honoratioren neben sich fragen. „Keinen“, gab einer der
Ehrengäste neben Hermann zur Antwort. „Beide gehören sie mir, und ich will
keinen Gewinn aus ihnen herausschlagen. Wenn es Allah gefällt, sollen sie den
lieben Leuten hier zur Unterhaltung dienen.“ Er zwinkerte, unter seinem
vornehm zu einer Krone gewickelten braunen Turban, dem vermeintlichen Albino
diskret verschwörerisch zu. „Ich bin selbst gespannt, welcher Hengst die
Leute mehr belustigt, der Schwarze oder der Braune.“ Und er zupfte wie von
ungefähr leicht an den Enden seines braunen Turbans. Alizee reagierte sofort. „Setz auf den Braunen“, raunte
sie Hermann zu. „Alles auf den Braunen.“ Der vornehme Ehrengast
zwinkerte Hermann nochmals aufmunternd zu, mit einem kleinen, anzüglichen
Lächeln auf den Lippen, mit dem er auch Alizee
ausgiebig bedachte. Hermann fing sein Zwinkern, seinen
Blick und sein Lächeln argwöhnisch auf, er witterte Hinterlist – und äußerte,
auf den mächtigen schwarzen Kamelhengst setzen zu wollen. Einer der
Honoratioren wollte dagegen halten, als sich unvermittelt der gottesfürchtige
Dicke einmischte: „Glaubst du nicht, Herr, dass das Geld eines frommen Mannes
genauso gut ist wie das des reichsten Khan?“ Damit nahm er Hermann die auf
den Schwarzen gesetzten Scheine aus der Hand und zählte sie sorgfältig ab.
„Ich halte dagegen“, sagte er mit Augen der Habgier und der Anmaßung, „der
Braune wird gewinnen, Allah will es.“ Alizee, der das Blut ins Gesicht gestiegen war, raunte
Hermann böse zum wiederholten Mal zu: „Was tust du da?! Ich habe gesagt: auf
den Braunen!“ Natürlich war es jetzt längst
zu spät, und es blieb ihnen nichts, als auf einen guten Ausgang des Kampfes
zu harren. Der Distriktchef
hob den rechten Arm, um der Menge Ruhe zu gebieten, die auch ungesäumt
eintrat. In den schweigsamen Gesichtern der Zuschauer stand
Sensationslüsternheit, Geldgier und erwartungsheischende Ungeduld. Endlich
erteilte der Distriktchef dem Polizeioffizier zu
seiner Rechten das Wort. „Heute Vormittag haben wir die Ehre, den ehrenvollen
Kampf zu sehen zwischen Willenskraft, dem schwarzen Kamelhengst, und
Siegeswillen, dem braunen Tier. Möge der Stärkere den Sieg erringen.“ Der Distriktchef
hob abermals den Arm zum Zeichen des Beginns. Als hätten sie nur auf dieses
Kommando gewartet, gingen die beiden Kamelhengste aufeinander los. Die zwei
mächtigen, dunklen, zotteligen Rivalen hatten schon bei ihrer gegenseitigen
Belauerung einen imposanten, Schauder erregenden Anblick geboten. Nun aber
wandelten sie sich zu monströsen grausamen Ungetümen, die ihre schlanken,
beweglichen Beine trotz der dicklichen Kniewülste wie Schlangenkörper ineinander
verknoteten, ihre muskulösen Hälse wie urzeitliche Dinosaurier über die
fransigen Höcker umeinanderschlangen und ihre bräunlichen riesigen Zähne
einander in die Kehlen eingruben, während ihnen blutiger, schaumiger Geifer
aus den Mäulern und von ihren verzerrten, herunterhängenden wulstigen Lippen
troff. Noch waren sie kräftig genug,
sich mit einem Ruck voneinander zu lösen, um sogleich den bestialischen Kampf
fortzusetzen. Die Ungeheuer traten mit ihren breiten Hufen und knotigen Knien
aufeinander ein, schlugen wild um sich, bissen, was sie erreichten konnten,
und versuchten, ineinander verknäult, sich gegenseitig zu erdrosseln, während
die Menge tobte und wütete und brüllte, angesteckt von der Aggression der
Bestien und von dem berauschenden, besitzergreifenden Spielfieber. Darüber
kreisten behäbig im Segelflug Raben, Geier und Adler in ihren
unterschiedlichen Höhenrevieren. Unaufhörlich erschallte das
viehische Gebrüll der brünstigen Kamelhengste, mal jammervoller Klagelaut,
mal wildes Kampfgeheul. Und auch aus der Menge ertönte hitziges Gebrüll und
wütige Anfeuerungsrufe. Die Menschen waren fiebrig erhitzt in fanatischem
Taumel und zusätzlich durch die brennende Sonnenglut und zugleich rauschhaft
benommen durch die scharfen Gerüche von Schweiß und Blut und Adrenalin. Hermann kratzte sich aufgewühlt
die rötlichen Barthaare, er kam zusehends mehr ins Schwitzen, heftig drückte
er dem schwarzen Kamel die Daumen, während er mit fiebernden Augen und
Gedanken sein favorisiertes Kamel zum Sieg führen wollte, indes ein mulmiges
Gefühl in ihm aufstieg und anwuchs, das er nicht zu unterdrücken vermochte. Einzig Alizee
wandte ihre Blicke, nicht aber ihr Gesicht ab, sie vermochte die grausige
Szene kaum auszuhalten und durfte ihre tiefe Abscheu der Männerwelt gleichwohl
nicht zeigen. Sie bekam auch nicht die stechenden Seitenblicke mit, die der
füllige Fromme ihr unablässig zuwarf. Ein einziger weiterer Mensch im
Publikum schien, obschon direkt von der Ringecke
aus zusehend, nicht dem berauschenden Taumel der Schaulustigen zu verfallen.
Gewandet mit einem dunkelblauen Kaftan stand er breitbeinig regungslos auf
den Pfahl gestützt, sein ovales, grobgeschnittenes Gesicht unbewegt unter dem
obligatorischen Turban. Nur sein großer Mund, in seinem schwarzen, ungeschnittenen Vollbart zu einem zynischen Grinsen
verzerrt, wies auf sein ungemeines Interesse an dem Kampf hin. Und als sein
Nebenmann, in aufgelöster Erregung und fanatischer Begeisterung, ihn am Ärmel
packte, und rief, dass nur Willensstärke, der Schwarze, gewinnen könne,
verriet der bohrende, zornentbrannte Blick, mit dem er den anderen fixierte,
seine rauschhafte, geheimnisvolle Anteilnahme. Dessen ungeachtet fragte der
Nebenmann ihn lautstark, wer denn seiner Meinung gewinnen würde. Der Mann im
dunkelblauen Kaftan schüttelte den anderen unwirsch ab wie ein lästiges
Insekt. „Lass mich in Ruhe, du Wanze“, schrie er ihn wutentbrannt nieder und
hatte den sofort Kuschenden gleich wieder vergessen, weil sich ein Aufschrei
der Menge um ihn herum erhob. Die ungeheuerlichen
Kamelbestien hatten sich noch ungestümer und noch tiefer in die Kehle des
jeweils anderen verbissen, laut krachte das grässliche Geräusch knackender
Wirbel. Doch im nächsten Augenblick schon befreiten sich die Kamelhengste aus
der gegenseitigen verschlingenden Umklammerung und stießen ohrenbetäubendes
Gebrüll aus, sich erst wechselseitig anklagend und sodann den glühenden
Himmel. Durch ihr eigenes Geheul
angefeuert nahmen die Tiere ihren grauenvollen Kampf wieder auf und bekamen
sich rasch wieder mit kraftvollem Biss bei den Kehlen zu fassen.
Willenskraft, das schwarze Kamel, schüttelte mit Macht den Hals seines
Rivalen Siegeswillen, ein geiferndes Raubtier, und wiederum knackte krachend
ein Halswirbel, doch noch einmal konnte der Schwarze sich aus der misslichen
Lage befreien. Blut troff ihm schwallweise von seinem schweißigen Hals
herunter auf die Erde, aus einer tiefen Wunde, die der Gegner in seinen
stieren Blick fasste, zielgenau zubiss und die Halsschlagader endgültig
zerfetzte. Innerhalb weniger Sekunden sank das schwere, riesige Tier zu
Boden, blieb reglos liegen, ehe es ein letztes Schnauben ausstieß und
verendete. Der siegreiche Kamelhengst
streckte triumphierend den Kopf zum Himmel empor und ließ unvermerkt seinen
Besitzer heran, der ihm einen Strick umband und in der Arena herumführte, um
den rasenden Beifall der Menge entgegenzunehmen, während Stallknechte den
Kadaver mit zwei Pferden am Dreisill aus der Arena
schleppte. Die Leute, nun gar nicht lieb
oder gut, sondern tobsüchtig, waren außer sich. Sie schrien und tobten und
brüllten und trampelten. Niemand achtete auf Alizee,
die leise, aber hemmungslos vor sich hin weinte. Ein bitter enttäuschter
Zuschauer mehr, der sein ganzes Geld verloren hatte. Der fromme Dicke
sammelte von den vielen Verlierern die Gewinne ein und hielt die Scheine in
die Luft, triumphierend wie zuvor der brünstige Kamelhengst, und schwang das
Geld durch die Luft wie eine schwer errungene Trophäe. Hermann, ohne jedes
Kapital jetzt, hielt den Kopf tief gesenkt, schien am Boden zerstört. Nachdem sich der Tumult der
Menschenmasse etwas gelegt hatte, erhob sich der spindeldürre Distriktchef und gebot mit einer ausladenden Gebärde der
Menge Ruhe. Als auch der letzte Zuschauer verstummt war, nahm der Hagere
großspurig das Wort. „Haben wir nunmehr den endgültigen Sieger des Tages
gesehen?“ fragte er. „Wir haben ihn gesehen!“
brüllte die Menge. „Der Braune ist Sieger!“ Das Gebrüll verstummte sofort,
als der Distriktchef abermals den Arm hob. „So sei es“, verkündete er und
ließ seinen Blick über die Menge schweifen. „Es sei denn, nach dem Gebot der
Gerechtigkeit und Redlichkeit ...“ Er hielt inne, wartend, dass wieder Ruhe
einkehrte, und fuhr schließlich fort: „... es sei denn, dass sich jemand
meldet, um dem Gewinner den Tagessieg streitig zu machen.“ „Oh großer Herr“, rief der
Besitzer des siegreichen Kamelhengstes, „welch große Weisheit spricht aus
deinen Worten. Mein Hengst wartet nur darauf, sich noch einmal beweisen zu
dürfen.“ „Ist dein Tier nicht zu sehr
erschöpft für eine direkte Revanche?“ fragte der Distriktchef.
„Wie lange braucht er als Pause, um sich wieder zu erholen?“ „Keine Pause“, antwortete der
Kamelbesitzer selbstsicher, „es reicht durchaus die Zeit, bis ein mutiger
Gegner gefunden ist. Wenn überhaupt.“ „Wie du willst“, sagte der Distriktchef. „Ich biete“, ergriff der
Kamelbesitzer wieder das Wort mit siegessicherem Lächeln, „als meinen Einsatz
die gesamte Summe, die ich soeben durch meinen Hengst gewonnen habe. Ist
jemand hier, der dagegen halten will?“ Der Distriktchef
ließ erneut seinen forschenden Blick über die Menge schweifen. Kein Zuschauer
rührte sich, keine erhobene Hand war zu sehen. „Offenbar gibt es niemanden
hier“, sagte er, „der die Herausforderung annehmen möchte.“ Noch ein paar Augenblicke wartete
er, die schweifenden Augen auf die Menge gerichtet, bevor er anhub: „Wenn nun niemand die Herausforderung annimmt, so
habe ich zu erklären, dass ...“ Eine laute, unerschrockene
Stimme ließ ihn seinen Satz nicht zu Ende zu sprechen. Von dem östlichen Eckpfahl her war der raue Ruf zu vernehmen: „Halt! Halt!
Hier! Hier! Ich!“ Der Mann im dunkelblauen Kaftan
unter schwarzer Fellweste, mit kräftiger Statur, kam herbeigeschlendert
mit federndem Schritt, auf seinem Gesicht lag ein selbstzufriedener Ausdruck,
und seine Lippen waren spöttisch verzogenen zu einem geheimnisvollen Grienen,
wobei seine Augen unternehmungslustig funkelten. Auf seiner rechten Schulter
hing ein altertümlich aussehendes Gewehr, und über seine Brust gekreuzt trug
er zwei breite Patronengurte. Er grüßte, mit nachlässiger Gebärde Brust,
Stirn und Turban antippend, und wandte sich selbstbewusst an den Distriktchef. „Ich bitte, mir zu vergeben“,
sprach er, „dass ich erst so spät reagiere. Doch ich stand, wie du gesehen
hast, hoher Herr, an dem Eckpfahl, und ich hätte
nicht gedacht, dass sich so gar niemand meldet.“ Der Distriktchef
musterte den Fremden von Kopf bis Fuß mit schlecht verhohlener Skepsis. „Du
willst dich also mit deinem Tier dem Kampf gegen Willenskraft stellen?“ „Es ist so, wie du sagst.“ Aus der Menge wurden
entgeisterte Rufe laut, und der Distriktchef gebot
wiederum Einhalt. „Und du bist dir sicher, obwohl
du doch gesehen hast, wie der Braune seinen tapferen Gegner geschlagen hat?“ „Gleichwohl, ich bin ganz
sicher.“ „Ja, besitzt du denn wirklich
ein Tier, das einem solchen Kampf gewachsen ist?“ „So ist es.“ „Kann man es denn einmal sehen,
dein unbekanntes Meisterkamel?“ „Man kann.“ „So zeig ihn uns nun endlich!“ Mit aufreizender Langsamkeit
zog der Besitzer des neuen Bewerberkamels eine Flöte aus dem Hemd und
entlockte dem Instrument einen schrillen Pfiff, der die Zuschauermenge
zusammenschrecken ließ, und ein Kamel veranlasste, die Rampe zu dem östlichen
Gatter heraufzutrotten. Mit gesenktem Kopf verhielt
es vor dem Gattertor zur Arena. Verblüfft und ungläubig
starrten die Leute auf dieses Wesen und rieben sich die Augen, denen sie
nicht mehr zu trauen wagten. Das Kamel des Fremden war höchstens mittelgroß,
mager, sein Höcker hing lasch zur Seite herunter, sein dunkelgelbes Fell war
schmutzverklebt und verfilzt. Doch was das Schlimmste war und die Zuschauer
mächtig verstörte, war der linke Hinterlauf des Kamels, der zu kurz geraten
und verkrüppelt war zu einem verhornten Huf. „Teufelsfuß! Teufelsfuß!“ ging
sogleich das Geraune durch die Reihen der Zuschauer
wie ein Lauffeuer. Ihr Unglaube und ihre Verblüffung wandelten sich jäh in
blanke Wut. Hermann und Alizee,
die dem Treiben mit unverhohlenem Interesse zugesehen hatten, schauten sich
amüsiert in die Augen. Das konnte ja heiter werden, sagten ihre Blicke. Kam
da ein Fremder mit diesem jämmerlichen Untier, so dass die guten Leute sich
verhöhnt vorkommen mussten. Hermann entfuhr ein kopfschüttelndes Kichern, das
ansteckend zu sein schien, denn die erbosten Rufe gingen in hämische Lacher
über. Der Besitzer von Siegeswillen machte Anstalten, seinen
Prachtkamelhengst von der Arena führen zu lassen, hatte er doch keineswegs
die Absicht, sein edles Geschöpf diesem abscheulichen Untier der Entehrung
preiszugeben. Da ließ der Dunkelblaue zwei
Pfiffe aus seiner Flöte ertönen, ein wohltönender Zweiklang und nicht so
schrill wie zuerst. Sein Kamel hob sofort den Kopf und ließ seine Lauscher
spielen. Auch das Prachtkamel verhielt mit aufmerksamen Augen und Ohren. „Muss ich mir solchen Schimpf
und Spott gefallen lassen?“ fragte der Besitzer des Prachtkamels aufs höchste
empört. „Oh, ihr ehrbaren Männer, rauft eure Bärte, Zeichen eurer Weisheit,
und verhindert – bei Allah, gepriesen sein Name – eine solch schmachvolle
Entehrung.“ „Würden Bärte für Weisheit
stehen“, entfuhr es Alizee leise, „wären alle
Ziegen Propheten.“ „Willst du uns alle hier
verhöhnen und lächerlich machen?“ rief der Distriktchef
mit zorniger, bedrohlicher Stimme dem Herausforderer zu. „Ich werde das nicht
straflos hinnehmen, Fremder, glaube mir!“ „Verhöhnen?“ sprach der
Gewehrträger, die rechte Hand aufs Herz gelegt, „nichts weniger als das.
Höchstens vielleicht mich selbst. Denn sieh, durch welchen Einsatz ich meine
persönliche Ehre in dieser meiner Herausforderung aufs Spiel setze.“ Damit
zog er aus der Tiefe seiner Kaftantasche ein dickes
Geldbündel. „Ist das vielleicht eine lächerliche Summe, irgendjemandem zum
Hohn?“ Der Distriktchef
überprüfte das Bündel sorgfältig, ließ den Daumen über die Scheine gleiten,
nickte befriedigt und wandte sich an den Besitzer des Prachtkamels. „Die
Summe stimmt“, erklärte er. „Bist du gewillt, deinen Einsatz aufrecht zu
erhalten?“ Der Angesprochene runzelte
zunächst die Stirn, als wollte er sich die Sache noch einmal überlegen. Er
hegte wohl einen Argwohn, ob die Sache auch mit rechten Dingen zuging. Er
suchte mit seinen Blicken den Himmel ab, und als er keinen einzigen Raben
entdeckte, zuckte er die Achseln. „Also warum nicht?“ brummte er.
„Schließlich habe ich das Recht, für den Schimpf, der meinem Hengst zugefügt
wird, angemessen zu kassieren.“ „Nun also, dann lass dein Kamel
ins Gatter führen“, gebot der Distriktchef,
„während wir das Ende der Wettabschlüsse abwarten.“ Niemand rührte sich, und es
stellte sich heraus, dass nicht eine einzige Wette zustande kam. Das war
unerhört und das erste Mal bei einem Tierkampf, viel Getuschel und Geraune ging durch die Reihen der Zuschauer, aber alle
wollten sie nur auf den prächtigen braunen Kamelhengst setzen. Man musste
wirklich völlig verrückt sein, wenn man diesem kläglichen Untier mit dem
Teufelsfuß auch nur die winzigste Gewinnaussicht zugestand. Der dicke Frömmling setzte eine
harmlose Miene auf, als er sich an Hermann wandte. „Du hast bestimmt auch
wenig Neigung, Geld auf dieses Vieh zu setzen?“ fragte er mit schmeichelnder
und gleichzeitig verachtungsvoller Stimme. „Denn ich muss selbstredend – du
wirst das begreifen – bei dem braunen Kamelhengst bleiben.“ „Ich habe überhaupt kein Geld mehr“,
entgegnete Hermann bedauernd mit ausgebreiteten Händen. Jeder in der Menge hatte seine
Rede vernommen, ein enttäuschtes allgemeines Stöhnen ging durch die Reihen. „Nun“, begann der Fromme wieder
honigsüß und ließ seinen Blick, in dem jetzt ein unverhohlen begehrlicher
Ausdruck lag, zwischen Hermann und Alizee hin und
her wandern. „Sei versichert, o fremder Albino, dass es mich glücklich machen
würde, dir jeden Betrag, den du willst, zu kreditieren. Das ist doch mehr als
selbstverständlich bei jemandem, der einen solch lieblichen, gutaussehenden
Knaben zum Begleiter hat, den ich liebend gerne als Unterpfand akzeptiere.“ Erst begriff Hermann den Sinn
dieser Worte nicht, und als er ihm jäh klar wurde, schüttelte er heftigst den Kopf. „Das kommt ja gar nicht in Frage!
Niemals!“ Er war dermaßen erbost über das
Ansinnen des frommen Mannes, dass er die Ellbogenstöße Alizees
in seine Rippen nicht spürte. Sie musste ihn kräftig kneifen, ehe er sich ihr
zuwandte. „Stimm zu!“ forderte sie ihn
auf. „Niemals!“ wiederholte er
grollend, und seine entgeisterte Miene drückte aus, wie unbegreiflich er
alles fand, was sich gerade hier abspielte. „Der weise Albino stimmt zu“,
erklärte Alizee statt seiner feierlich. „Redet er wahr?“ fragten der
Fromme und der Distriktchef wie aus einem Munde. Nach einigem Zögern und nachdem
ihn Alizee nochmals kräftig unvermerkt geknufft
hatte, nickte Hermann beklommen. „Du setzt also, o fremder
Albino, auf das Kamel mit dem Pferdefuß“, fragte der Fromme noch einmal nach,
„und akzeptierst die genannten Bedingungen mit deinem knabenhaften Begleiter
als Faustpfand?“ Nach einem eindringlichen und
innigen Blickwechsel mit Alizee gab Hermann
schließlich sein Einverständnis. „Ich stimme also zu“, sagte er mit bemüht
fester Stimme. „Und welche Summe darf ich dir
leihen, o Albino? Sagen wir Zehntausend? Euro?“ „Zwanzigtausend“, rief Alizee. „Abgemacht“, sagte der Fromme eifervoll. „Abgemacht“, sagte Hermann
gefasst. „Alle haben es gehört“, rief
der Distriktchef. „Die Sache ist also besiegelt und
die Wette gilt. Gebt euch denn nun die Hand zur Bekräftigung.“ Der Fromme reichte Hermann mit
kleinem Lächeln schnell die Hand, als befürchte er, der andere könne noch im
letzten Augenblick einen Rückzieher machen, doch Hermann schlug
schicksalsergeben ein, nicht ohne Alizee mit einem
flehenden Blick zu bedenken. Mitleidiges, bestürztes Geraune lief durch die Zuschauerreihen, fassungslose
Worte wurden gemurmelt. „Welch ein Schande! – Ein so junger Knabe! –
Verwettet und verloren! Einen unschuldigen Jüngling! – Das Spielfieber hat
den Albino um seinen Verstand gebracht!“ Doch allmählich änderte sich
die Stimmung im Publikum und schlug vollends um, als einige sich vor den Kopf
stießen und empörte Rufe plötzlicher Erkenntnis laut wurden. „Was ist mit
uns?“ riefen die ersten Leute. „Ja, was ist mit uns?“ schlossen sich die
anderen an. „Stehst du für jede Summe gut?“
fragte der Distriktchef den frommen Dicken. „Für
jede Wette, die der Albino annimmt?“ „Das tue ich“, erklärte der
Fromme. „Ich schwöre es. Bei meiner Ehre. Falls er gewinnen sollte, versteht
sich.“ „Ich akzeptiere jeden Einsatz“,
rief Hermann unter den aufmunternden Blicken Alizees. Niemand blieb nun abseits, weil
jeder sich sicher war, dass er gewinnen müsse. Jedermann leerte seine Taschen
oder Börsen, ob viel oder wenig, zuletzt sogar der Distriktchef,
während Alizee Hermanns Blick durch einen leisen
Knuff in die Rippen auf das Gatter lenkte, wo man an dem kleinen,
verkrüppelten Kamelhengst ein noch kleineres Kamel vorbeiführte; Hermann
begriff: eine rossige Kamelstute. Als sämtliche Einsätze und die Namen dazu
notiert waren, ging der Mann im dunkelblauen Kaftan auf Hermann zu. „Woher nimmst du nur dein
Vertrauen zu meinem Kamel?“ fragte er. „Dein Mut ist wohl größer als dein
Verstand. Ich weiß nicht, ob ich dich bewundern soll oder belächeln.
Immerhin danke ich dir.“ Der Distriktchef
klatschte in die Hände zum Zeichen, dass der Kampf beginnen solle. Die Gatter wurden geöffnet, die
Tiere betraten die Arena, das Prachtkamel in stolzem Schritt, Teufelsfuß in gemächlichem
Trott. Die Tiere blieben stehen, um sich zu belauern, dann schritt
Siegeswillen als erster voran, während der kleine Gegner erst durch einen
harmonischen, sonoren Dreiklang aus der Flöte seines Besitzers in Bewegung zu
bringen war. In fieberhafter Erwartung,
voller Ungeduld und Habgier, starrte die Menge auf die beeindruckenden Tiere,
die sich in Trab setzten, wobei Teufelsfuß jetzt deutliches Hinken zeigte,
ein minderwertiges Kamel mit verkrüppeltem Hinterlauf, doch mit dem intakten
Instinkt des brünstigen Hengstes. Manche Leute murrten, andere
lachten. Kurz vor einem möglichen Zusammenprall blieben die Tiere stehen und
beäugten sich wieder lauernd. Plötzlich stürmte der Braune auf seinen viel
kleineren Feind los, der aber in flinker Drehung sogleich auswich, sodass der
Gegner an ihm vorbeitrabte. Der Braune drehte sich verdutzt herum, den
kleinen Kamelhengst argwöhnisch belauernd. Was dann geschah, verlief
schnell und unfassbar. Das Prachtkamel schritt vor und legte seinen dicken Hals
auf den Rist des kleineren Rivalen, der in die Knie ging und zu Boden
gedrückt wurde, sich aber sogleich wie eine Schlange wieder herauswand. Die
Tiere verbissen laut brüllend ihre Kiefer ineinander, rissen sich los, und
als der braune Prachthengst versuchte, das mickrige, kleine Kamel seitlich in
den Hals zu beißen, drehte sich der Angegriffene urplötzlich auf der Stelle
um, dem Rivalen sein Hinterteil darbietend, und keilte mit seinem
verkrüppelten Hornfuß jählings aus und brach dem
braunen Prachtkamel den Unterschenkel des Hinterlaufs. Eine Wolke aus Staub,
Sand und Dreck wirbelte hoch, und als der braune Riese jämmerlich nach hinten
einknickte, tauchte Teufelsfuß aus der Wolke auf wie ein Dämon und
zerschmetterte mit einem zweiten Tritt das gegnerische Vorderbein. Der
prachtvolle Kamelhengst, dem schaumiger Geifer aus dem Maul quoll, brach
vollends ein und zusammen, am ganzen riesigen Leib zitternd, mit einem
großartigen Krachen, sich wie in Zeitlupe auf die Seite legend, mit zwei
einzelnen kräftigen Tritten vollkommen kampfunfähig gemacht von einem nur
mittelgroßen, zotteligen, verkrüppelten Kamelhengst mit einem Teufelsfuß. Der Kampf war zu Ende, ehe er
noch richtig angefangen hatte. Allen war bewusst, dass es für das gefallene
Prachtkamel nur mehr eines geben konnte: Den Gnadenschuss. Der Fromme schrie zuerst:
„Verrat! List! Tücke!“ Und der Besitzer des todgeweihten Prachtkamels brüllte
ebenfalls: „Arglist! Täuschung! Unrecht!“ Die Menge erstarrte in
abgrundtiefer Enttäuschung, nur vereinzelt ertönten die Rufe: „Verrat! List!
Tücke!“ und „Arglist! Täuschung! Unrecht!“ „Jeder hat seinen Teufelsfuß
gesehen“, rief der Distriktchef, ehe noch die Menge
sich wieder ganz gefasst hatte. Bitteres, langes Schweigen
folgte seinen Worten, ein verblüfftes, säuerliches, blindwütiges Schweigen,
doch auch ein nachdenkliches. Ein jeder stand im Kampf mit sich selbst:
Wahrhaftigkeit und Habsucht lagen im Streit miteinander. Gerechtigkeit und
Redlichkeit aber obsiegten. Sind wir so blind gewesen,
dachten sie seufzend, dann muss es wohl der Wille Allahs gewesen sein. Der Besitzer des Siegerkamels
ließ eine triumphierende Melodie aus seiner Flöte ertönen, worauf der kleine
Kamelhengst mit dem Klumpfuß vom Kampfplatz zum Gatter trottete und die Rampe
hinab zu seiner Stute, ganz ohne zu hinken und mit erhobenen Kopf. Der Distriktchef
händigte Hermann bündelweise die gewonnen Geldscheine aus. Der dicke Fromme bedachte Alizee mit einem zutiefst enttäuschten, verzehrenden und
pikierten Blick. Hermann reichte eines der
Geldbündel dem stolzen Mann im dunkelblauen Kaftan mit der zottigen schwarzen
Fellweste, wortlos mit verständnisinnigen Blick, und packte die restlichen
Bündel nachlässig in den Rucksack, schulterte ihn auf seinem Rücken und nahm Alizee unter den stummen Blicken der Leute unbekümmert
bei der Hand. Sie gingen ohne Abschied. http://www.amazon.de/Afghanistan-Horsegirl-ebook/dp/B005FQTC6W Roman 5 Die Reporterin benutzte den alten, klapprigen Motorroller des verstorbenen Gasthausbesitzers. Er trug noch die Werbeaufschrift und war auch sonst am besten geeignet, sich in der ramponierten Infrastruktur der Olympiastadt zu bewegen. Die Obala Vojvode Stepe wimmelte von Menschen. Scheinbar war ganz Sarajevo auf den Beinen. Der Waffenstillstand wurde – ausgenommen die Heckenschützen – von den Parteien nur tagsüber seit mehr als achtundvierzig Stunden eingehalten, er zerfaserte also bereits wieder wie ein zu lange getragenes Kleid aus schlechtem Material; allenfalls die Artillerie auf den umliegenden Bergen schwieg. Die Fahrzeuge, Personenkraftwagen, Mopeds und Fahrräder sowie der Roller mit der deutschen Journalistin, stauten sich nicht nur vor den Kreuzungen mit ihren zerstörten Ampelanlagen, sondern vor jedem einzelnen Kraterloch der unzähligen Granateneinschläge, die mit aller Vorsicht umfahren sein wollten. Die Autos fuhren Stop and Go, höchstens Schritttempo und behinderten die fließende Fortbewegung der unmotorisierten Verkehrsteilnehmer. Vor und in den Geschäften drängten sich die Leute. Die Läden erinnerten Anica an Garagen; zu ebener Erde gelegen stand ihre gesamte Vorderfront offen. In diesen Schaufenstern ohne Glasscheiben hingen die Waren: Früchte oder Fahrradreifen, Kleidung oder Topfwaren, oft auch alles durcheinander, von allem etwas in jeglichem Geschäft. Nur in den Ständen auf dem Markt war das Sortiment streng spezialisiert, wird gepflegt und sachkundig angeboten – freilich zu phantastischen Preisen in ausschließlich deutscher oder nordamerikanischer Währung. Anica spürte auf der Haut die feuchtheiße Luft und die Insekten, die voller Lebenslust in der Sonne von den Abfällen aufschwirrten; hervorgekrochen aus den dunklen Tiefen mancher Hotelbetten, dachte die Journalistin. Sie verspürte wie die meisten Menschen eine sonderbare Niedergeschlagenheit; sonderbar, weil trotz der Trägheit des Körpers der Geist unruhig wachte, als befürchte er drohendes Unheil. An den mehrstöckigen Häusern starrten die Hülsen der zerschlagenen Neonreklamen leer herunter, Mauern und Fassaden waren übersät von Einschusslöchern. Neben der schwarzen Punktschrift der Granatlöcher fehlten trotzdem nicht völlig die einschlägigen Werbelogos der Getränke-, Zigaretten- und Modeindustrie, sondern prangten auf improvisierten Sonnenschirmen, als Ladentische dienenden Verpackungskisten und auf koloristischen Plastbeuteln. Das lärmende Geschrei der Händler erfüllte die Luft und erinnerte Anica daran, dass sie den orientalischen Basaren hier näher war als dem künstlichen Prunk der westlichen Fußgängerzonen und Shoppingcenter. Kinder jagten sich lärmend auf den schmutzverkrusteten, fleckigen, übelriechenden Gehsteigen. In der Auslage eines Fernsehgeschäfts stand eine Reihe Bildschirme mit demselben Programm: in der bekannten amerikanischen Krimiserie muteten die serbokroatischen Dialoge der Hauptdarsteller recht befremdlich an. Von den Radioempfängern im hinteren Verkaufsraum drang auf die Straße an das Ohr der Rollerfahrerin laute Schlagermusik, die sich in nichts von den Tönen anderer europäischer Metropolen unterschied. Zwischendurch empfahl eine marktschreierische Männerstimme, ein bestimmtes deutsches Waschmittel zu benutzen und sich nur mit Zahncreme amerikanischer Herkunft das Gebiss zu pflegen. In diese polychrome City-Atmosphäre hatte sich Anica rasch eingewöhnt. Lediglich der Kraftverkehr in diesem Getümmel von Zerstörung und Chaos, aber gleichwohl ungebrochenem Lebenswillen, hatte seine Tücken. Schlagartig wurde die im Vergleich zu den vergangenen Tagen beinahe idyllisch zu nennende Szene in eine Tragödie verwandelt. Aus heiterem Himmel schoss die serbische Artillerie wie verrückt eine Granate nach der anderen in den Straßenzug. Beißender Qualm erfüllte allmählich die Luft und ätzte der Journalistin die Lungen. Sie stellte abgehackt hustend den Roller ab in das geschlossene Portal eines Gebäudes hinter ein Schild mit der Aufschrift PSYCHIATRISCHE KLINIK. „Verfluchte Schweinehunde!“ hörte sie einen Passanten schreien, sah, dass er sich wie alle anderen Menschen schutzsuchend an eine Häuserwand drückte. „Sie schießen sich wieder ein und ausgerechnet bei uns müssen sie anfangen!“ Anica wusste, die Artillerievorbereitung war damit jedoch
bereits zu Ende gegangen. Diesmal wurde hauptsächlich mittelschwere
Artillerie eingesetzt, die man nachts überall, wo es möglich war, zum
Direktbeschuss in Stellung gebracht hatte. Obgleich das dumpfe Dröhnen und
beklemmende Beben der Erde von nahen Abschüssen schwerer Kaliber fehlte,
waren die Straßenzüge und der naheliegende Markt von Knallen und Krachen
erfüllt. Das Feuer einer Batterie schien aus unmittelbarer Nähe, von einem
anliegenden Stadtteil vielleicht, auf die City einzuhämmern. Es hörte sich
an, als knacke jemand Riesennüsse direkt an Anicas
Trommelfell. Einige Dutzend Granaten schlugen so nah bei Anica ein, dass jedes Mal der Boden um sie herum erzitterte. Der Rauch der Detonationen über ihr wirbelte und quirlte, als würde vom Himmel bis zur Erde ein schwarzer Brei mit dem Löffel umgerührt. Eine vor der Sparkassenfiliale parkende deutsche Luxuslimousine erhielt einen Granateneinschlag, im Asphalt qualmte ein Trichter, ringsherum streckten sich bizarr verbogene Eisenstücke und verbeulte Blechteile. Für Anica war es eine Qual, den beißenden Qualm des heißen Asphalts einzuatmen. Auf der Straße rollte ein abgerissenes Rad auf sie zu. Bevor es ins Taumeln kam, kullerte es noch einige Meter, als wollte es bis zu ihr rollen, kippte jedoch vorher um, der stählerne Radkranz schepperte auf dem Straßenbelag. Dann schlug ein Volltreffer in die Hausruine, an deren Mauerfuß sich die Reporterin auf den Boden warf. Sie verspürte Druck, auch einen heftigen Schlag und vernahm ein mächtiges Dröhnen, bevor eine Last auf sie stürzte und ihr die Luft abschnitt. Steinbrocken der einstürzenden Mauer und splitterndes Holz von verkohlten Fensterrahmen hatten sie vollständig verschüttet. Schwer atmend arbeitete sie sich unter Anspannung aller Kräfte aus den Trümmern. Es gelang ihr, weil sie sich vor dem Einschlag den Kopf mit der Handtasche bedeckt hatte und die Hände oben geblieben waren. Endlich bekam sie die Hände frei, schob grimmig alles beiseite, was sie am Aufstehen hinderte. Sie erwischte sogar noch den Schulterriemen mit ihrer Handtasche. Schließlich kroch sie etwas benommen, aber heil aus ihrem steinernen Grab. Schwankend stellte sie sich auf die Füße, wischte sich den Schweiß aus Angst und Schwüle von der Stirn. Rings um sie war viel Zerstörung, aber die Granatexplosion hatte die Hauswand nach innen fallen lassen, und die Detonation war erst erfolgt, als die Journalistin schon unter einem Holzrahmen lag. Unvermittelt kauerte sie sich wieder zu Boden, es gab keinen konkreten Grund, nur das instinktive Empfinden einer Gefahr. Sie blickte sich um und gewahrte eine Rakete, die quasi friedlich in einem Winkel des Rahmens steckte. Sie hatte das Holz durchbohrt, ohne zu explodieren; Anica hatte nur splitternde Geräusche vernommen. Vorsichtig stand sie auf, entfernte sich dann langsam, floh schließlich hastig rückwärts, ohne den Tod, der eingekapselt in der Röhre steckte, aus den entsetzten Augen zu lassen. Die Rakete war schlank, etwa einen Meter lang und sattgrün. Welch Ironie, kam der Journalistin in den Sinn, dass der Tod sich in die Farbe der Bäume, das Grün des Lebens kleidete. Anica kam sich vor wie Blechspielzeug, das sich aufziehen lässt, damit es im Kreis herumläuft, und wenn es an einem Stuhlbein oder an einer Teppichkante hängen bleibt, es trotzdem immer weiter dieselben mechanischen Bewegungen macht. Ebenso erging es ihr. Wie eine Aufziehpuppe lief sie gegen Mauerreste, Autos und flüchtende Menschen, ehe sie ihren Roller erreichte. Erleichtert klopfte sie sich den gröbsten Staub von ihrem Overall, schüttelte ihn aus den Haaren. Mit ihrem Taschenspiegel stellte sie verblüfft fest, dass sie wie durch ein Wunder keinen einzigen Kratzer abbekommen hatte. Verletzt war sie nicht, aber Herz und Gemüt bluteten ihr, denn sie musste feststellen, dass die Mauerfüße gesäumt waren von an die Hundert mehr oder minder verletzten Zivilisten, unter ihnen sicher zwei bis drei Dutzend Tote. So als zeigten sie sich mit ihrem grausigen Werk zufrieden, war der Granathagel abrupt abgerissen. Die Reporterin wartete nicht auf das Eintreffen der Sanitäter und Leichenwagen, sondern kletterte auf den intakt gebliebenen Roller, ihr Herz schlug weiter wie eine ekstatisch geschlagene Bongotrommel, sie drehte den Zündschlüssel... der Motor sprang an, und sie setzte – ebenso schockiert wie grüblerisch – den Weg fort, so wie auch alle anderen Heilgebliebenen ihre Beschäftigungen wiederaufnahmen, als sei nichts geschehen. Überall wurden die Türen wieder aufgemacht, die Rollläden wieder hochgezogen, die Gaslampen wieder angezündet, und wie Ratten, die wieder ins Nest zurückkehren, fanden auch die bei der sinnlosen Flucht davongekommenen Bewohner wieder in ihre Häuser und Baracken zurück. Die, die zurückgeblieben waren, kamen stattdessen heraus, in den Händen einen Strick haltend, und wie Katzen, die nach dem Gewitter wieder aus ihren Schlupflöchern hervorkriechen, bewegten sie sich mit kleinen, vorsichtigen Schritten, um nur ja kein Geräusch zu machen, mit angehaltenem Atem, um jedes Geräusch zu hören, und mit weit aufgerissenen Augen, um die staubverdunkelte Luft durchdringen zu können. Neuerlich wurde die Waffenruhe in einem Sonderkommuniqué aus Rundfunklautsprechern verkündet, die schrillen Muezzins ratifizierten sie von den speerschlanken Minaretten herab mit Gebeten zu Allah, die Soldaten bestätigten sie von Panzern aus mit lauten Jubelrufen und feierlichen Flüchen, doch die Sarajlije, Sarajevos Einwohner, wollten der Sache nicht recht trauen. Erst nachdem sie sich versichert hatten, dass nicht mehr auf sie geschossen wurde, begannen sie rasch zu gehen, und es sah so aus, als würden sie etwas suchen. Sie waren auf der Suche nach ihren Toten. Und sobald sie einen gefunden hatten, blieben sie wortlos stehen, knoteten ein Ende des Stricks um dessen Knöchel oder Brustkorb, nahmen das andere Ende über ihre Schulter und schleiften ihn weg wie einen Schlitten. Tote zu finden war nicht schwer. Wo man auch hinschaute, überall sah man einen liegen.
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