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Roman 1

 

Das GEHEIMNIS der WEINGRÄFIN – historischer Roman Mittelalter

 

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Liedtext:

 

Die Brombeeren                                                 C III

 

      C                             G                          C             G            C

Es wollt ein Mägdlein frühaufstehn, drei Viertel Stund vor Tag,

        C                          F         G 7              G  C

und wollt am Fluss spazieren gehn, ja, spazieren gehn,

                             G        C

wollt Brombeern pflücken ab. :|

 

      C                       G                    C             G             C

Und als sie nun zum Ufer kam, da naht des Försters Knecht:

        C                             F           G 7              G     C

`Ei Mägdlein, scher dich aus der Au, scher dich aus der Au,

                          G                  C

mei´m Herrn, dem ist´s nicht recht.´ :|

 

       C                          G                     C            G             C

Und als sie ein Stück weiterkam, da naht des Försters Sohn:

         C                            F    G 7           G       C

`Ei Mägdlein, setz dich nieder, setz dich nieder,

                       G            C

zupf dir dein Körblein voll.´ :|

 

         C                             G                                C            G        C

`Ein Körblein voll, das brauch ich nicht, eine Handvoll ist genug.

       C                   F     G 7        G          C

In meines Vaters Garten, ja Vaters Garten,

                    G               C

da wachsen Brombeere g´nug.´ :|

 

         C                      G               C              G            C

So schön wie braune Beeren sah sie sein´ Äuglein stehn.

              C                F         G 7          G     C

Wer kann in schöner Pegnitzau, schöner Pegnitzau,

                  G         C

den Beeren widerstehn? :|

 

         C                             G                           C              G           C

Als drei Viertel Jahr vergangen war´n, die Brombeeren wurden groß,

      C                               F       G 7                 G       C

da hat das schwarzbraun Mägdelein, schwarzbraun Mägdelein,

                    G            C

ein Kind auf ihrem Schoß. :|

 

        C                   G                                C            G         C

Sie sah es mit Verwundrung an: `Ei, was hab denn ich getan?

          C                          F             G 7          G       C

Kommt das wohl von den Brombeern her, von den Brombeern her,

                    G         C

die ich gepflücket ha´n?´ :|

 

         C                          G                                  C            G               C

Drum wer ein ehrlich´s Mädel will ha´n, der schick sie nicht zum Fluss.

     C                           F     G 7            G             C

Am Ufer wachsen die Brombeern, wachsen die Brombeern,

                     G        C

und reifen im Überfluss. :|

 

Muscatblüt-Version – In vielen Volksliedern haben sich erotische Gefühle

und Bedürfnisse symbolhaft ausgedrückt.

                    

Roman 2 JESUS & MARIA MAGDALENA

 

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Roman 3

AFGHANISTAN DRAGON


Drogenthriller / Investigativ-Roman
über Mohnanbau und Opiumschmuggel im Nordosten Afghanistans

von © Norbert F. Schaaf – epubli / amazon kindle

 

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http://www.rezensions-seite.de/rezensionen/spannung/norbert-f-schaaf-afghanistan-dragon/

 

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Autors urheberrechtswidrig und nicht gestattet. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigung, Übersetzung und/oder die Verwendung in elektronischen Systemen. © Norbert F. Schaaf 2011

Unverkäufliche Leseprobe des Autors Norbert F. Schaaf, der als Ex-Bundeswehr-Soldat mit Ausbildung bei den Fallschirmjägern in Zweibrücken ein `NATO-Certificate´ über Auslandseinsatz besitzt:

8

 

Die Schlucht lag einen Kilometer westlich von Karambar. Der Trampelpfad, der von der Siedlung zu ihr führte, zweigte kurz vor den ersten Felsen nach Norden ab und verlief dann über langsam ansteigendes Gelände in die Gegend, in der die Bewohner ihre Mohnfelder angelegt hatten. In der Schlucht war es kühl, und es herrschte selbst am hellen Tag ein dämmeriges Licht, weil die Sonne von den flachen ausladenden Kronen der niedrigen Büsche abgefangen wurde, die ober­halb der Felsen wuchsen. Es war einer jener Schluchten, deren safranfarbige, rötlich und violett schimmernde Felsmassen sich fast berührten und nur einen schmalen Spalt knallblauen Himmels freigaben. In der schwindelerregenden Höhe drohten mächtige Steinklötze, als warteten sie nur darauf, von irgendwelchen Unholden auf fremde Eindringlinge hinabgeschleudert zu werden. Ging man durch die Schlucht weiter, einige hundert Meter, gelangte man wieder in offe­nes Gelände, das stetig anstieg, bis dorthin, wo die Grenze zu Pakistan zum Greifen nahe schien. Es war kein weiter Weg dorthin, kaum eine halbe Stunde musste man gehen, doch die Leute aus Karambar konnten nicht sagen, wo genau die Grenzlinie verlief. Sie war nicht markiert, und wenn sie einmal markiert gewesen sein sollte, so hatte der dschangal diese Markierun­gen längst überwuchert. Ein breiter werdender Pfad ver­lief in südlicher Richtung, in das Gebiet, von dem die Leute aus Karambar wussten, dass dort ein oder zwei Tagesmärsche entfernt die ersten Siedlungen der Nuristani lagen. Kleine Dörfer, verlassen wirkend, in tiefem Gehölz versteckt, fast ohne jede Verbindung mit der Umwelt.

Auch die Lage dieser Dörfer war nur ungenau zu bestim­men, denn die Nuristani verfuhren ebenso wie die Paschai, die weiter im Norden lebenden Gujar und andere bei der Anlage ihrer kleinen Felder, auf denen sie lebensnotwendige Nahrungsmittel zogen, immer noch nach der alten Methode der Brandrodung. Sie zündeten in der trockenen Jahreszeit ein Stück Dornenbuschland an, ließen es abbrennen, arbeiteten die Asche in die Erde ein und bebauten dann später diesen Boden. Sie ackerten den Boden nicht um, und sie düngten ihn auch nicht. Nach spätestens zwei oder drei Jahren gaben die Fel­der keine nennenswerten Ernten mehr her. Dann pflegten die Nuristani einfach ein weiteres Stück Buschwald abzubrennen und darauf neue Felder anzulegen. Einen geeigneten Platz fanden sie oft erst mehrere Kilometer von der alten Ansiedlung entfernt; daraus hatte sich die Sitte entwickelt, die alte Siedlung einfach zu verlassen und in der Nähe der neuen Felder eine neue Siedlung anzulegen. Da sie stets mit dem Namen der verlassenen bezeichnet wurde, verschob sich so im Verlaufe von Jahren die Lage eines einmal auf der Landkarte festgehaltenen Dorfes ganz erheblich, und es war von Leuten, die sich nach der Landkarte orientierten, einfach nicht mehr zu finden. Selbst in Karambar ließe sich derzeit über die Lage der nächsten Siedlung auf pakistanischer Seite nur sehr ungenaue Angaben machen. Im Grunde interessierte das auch niemanden. Die nomadischen Nuristani waren eigen. Ihre Sprache war anders. Ihre Sitten unterschieden sich von den anderen. Handel mit ihnen zu treiben lohnte kaum. Man hatte keine Feindschaft mit ihnen, denn es gab für eine Feindschaft keinen Grund. Sie waren Grenzgänger zwischen Afghanistan und Pakistan. Erst in den letzten Jahren war man wieder darauf aufmerksam geworden, dass es jenseits der Grenze Vorgänge gab, die sich auf die Siedlungen diesseits der Grenze auswirkten.

Das Dutzend Männer, das am Nachmittag, von Pakistan kommend, in die Schlucht zog, die zwischen Karambar und der pakistanischen Grenze lag, führte Kamele mit, die in Plastiksäcke verpacktes Rohopium trugen. Der Anführer, ein kleiner, säbelbeiniger Mann von einem Stamm der Panjshiri, war mit einem M-16-Gewehr bewaffnet, die übrigen trugen Maschinenpistolen. Sie waren in Uniformen gekleidet, wie sie von den US-amerikanischen Soldaten im Irakkrieg ge­tragen wurden. Nur Abzeichen wiesen sie nicht auf. Die Kameltreiber, die ihre Kopfbedeckungen über Stirn und Ohren gezogen und die Gesichter in den Pelzkragen vergraben hatten, wechselten kein Wort miteinander, als müssten sie ihre Kräfte sparen, um gegen die Kälte der Höhe und der Freveltat zu bestehen.

Der Anführer öffnete einen Sack und streute eine Wegspur über die ihren Pfad kreuzende Gletscherzunge, die so glatt war, dass die Kamele sich sonst nicht darauf wagen konnten. Der Berg war äußerst steil. Die Tragtiere mit ihren schaukelnden vorderen Höckern sträubten sich, und die Kameltreiber mussten sie anfeuern. Die Karawane hielt alle fünfzig Meter an, um Atem zu schöpfen. Urplötzlich stürzte das letzte Kamel am Rand des Abgrundes, wälzte sich jedoch instinktiv zur Seite und einen Meter zurück. Unter Einsatz ihres Lebens befreiten die Kameltreiber das Tier von seiner Last, damit es wieder aufstehen konnte. Am östlichen Ausgang der Schlucht hob der Anführer die Hand und ließ den Trupp halten. Er blickte sich in der Gegend um und vergewisserte sich, dass keine Menschen in der Nähe waren.

Banshef Mehdoor war ein vorsichtiger Mann, obwohl er noch jung war, vielleicht neunundzwanzig Jahre. Das Dorf, aus dem er stammte, lag mehr als hundert Kilometer von dieser Schlucht in Afghanistan entfernt. Banshefs Vater Hamud, ein gesuchter Autobusräuber, hatte schon den US-Amerikanern als Pfadfinder ihrer Kommando­trupps gedient, damals, als die Russen Afghanistan besetzten. Mittlerweile führte sein Sohn einen Trupp Bewaffnete, wieder­um im Dienst der US-Amerikaner. Er zog mit seinen Leuten nicht planlos durch die Berge. Zu Hause, in Irshad, lebte Kaplan Gabriel. Sein Name war für die Einheimischen irreführend. Er arbeitete als Heilpraktiker und Entwicklungshelfer, war aber tatsächlich ein Pater und lehrte die Paschai ebenso heimlich wie gesetzwidrig das Evangelium, worauf der Koran beruht, seit mehr als zwanzig Jahren. Wer ihn allerdings näher kannte, der wusste, dass in Kaplan Gabriels Lehmhaus ein kleines, leistungsfähiges Fernsprechgerät stand, mit dem er täglich Verbindung zu einer US-amerikanischen Dienststelle in Kabul hatte. Diese Dienststelle war es, die den Trupps der Panjshiri die Waffen lieferte und die Munition, zuweilen auch Reis oder andere Lebensmittel, Tabak und jenes Ge­tränk, das zwar sowohl schneller berauschte als die ein­heimische vergorene Stutenmilch, freilich auch besser schmeckte, den Whisky.

Kaplan Gabriel besaß genaue Karten von Nordpakistan, auf denen jede Straße, jeder Brückensteg und selbst die kleinste Siedlung verzeichnet waren. Er empfing mit seinem Satellitentelefon regelmäßig Nachrichten aus Peschawar und auch aus Eshkashem am Eingang des Wakhan-Korridors zu China, und immer wenn von irgendeinem Stützpunkt Soldaten ausrückten, um gegen die Marodeure und Schmuggler in den Ber­gen eingesetzt zu werden, erfuhr Kaplan Gabriel das einige Tage vorher. Von Zeit zu Zeit wählte Kaplan Gabriel aus den jungen Burschen, die zu den Banditentrupps gehörten, die intelligentesten aus und brachte ihnen das Alef-beh bei, wo­bei er ihnen gleichzeitig die Fähigkeit vermittelte, sich in der Sprache ihrer Ausbilder einigermaßen zu verständigen. War das getan, verschwanden diese jungen Burschen für etliche Monate. Durch Afghanistan wurden sie nach Usbekistan gebracht, wo sie auf US-amerikanischen Truppenübungs­plätzen militärisches Training absolvierten. Wenn sie heim­kehrten, übernahmen sie die Führung weiterer Trupps von bewaffneten dozds.

Auch Banshef war in Usbekistan ausgebildet wor­den, was ihm unter seinen Männern unbegrenzte Autorität eingebracht hatte. Als er ihnen jetzt befahl, die Tiere im Schutz der Schlucht festzubinden, sie abzuladen und zwei Posten oberhalb der Schlucht aufzustellen, befolgten sie seine Anweisung ohne Widerrede. Einer öffnete einen Behälter mit Rationspackungen, und der Trupp ließ sich zur Rast in der Schlucht nieder. Doch die Ruhe dauerte nicht lange, denn schon nach einigen Minuten meldete der Posten am östlichen Zugang das Nahen eines Mannes.

Banshef kletterte auf einen Felsen und hob sein Fernglas an die Augen. Bald konnte er die Gestalt erkennen, die sich durch das fast mannshohe Buschwerk näherte. Es war Jalaluddin. Der Anführer ging ihm entgegen. Als er nahe genug heran war, rief er ihn an: „He, Jalaluddin!“

Der Alte blieb erschrocken stehen. Schließlich erkannte er Banshef und sagte vorwurfsvoll: „Du bist das! Warum lauerst du mir auf?“

Der Anführer grinste vergnügt. „Wir sind eben angekom­men. Hatten noch keine Zeit, einen Mann ins Dorf zu schicken.“

„Was wollt Ihr?“

„Austausch“, antwortete Banshef knapp, aber mit einem Blick, der eine gewisse Entschlossenheit in Dingen des eigenen Vorteils erkennen ließ.

Jalaluddin gab einen mürrischen Laut von sich. Wie immer, dachte er. Sie kommen hierher, und wir wissen nichts. Dann kommt eine Maschine, und wir haben die Arbeit. Sie machen das mit den Nordamerikanern über ihre Funk­geräte ab, und wir spielen die Handlanger. Wir decken sie. Was für ein widerliches Spiel das geworden ist! „Ich will auf die Felder“, sagte Jalaluddin.

Der Anführer entgegnete: „Dann geh nur. Wir machen das mit Mir Khaibar ab.“

Als er hörte, dass Mir Khaibar nicht da war, zuckte er die Schultern.

Jalaluddin erzählte ihm nichts von Mir Khaibars Schicksal. Er sagte nur brummig: „Ich werde zurückgehen. Es ist sonst weiter niemand im Dorf.“

„Auch nicht euer einbeiniger, armloser Dschinn?“ erkundigte sich Banshef.

„Nein, nein“, beeilte sich Jalaluddin zu schwindeln, „heute nicht. Ist heute unten im Tal.“

Banshef grunzte zufrieden, griff in die Brusttasche seiner Tarnfleckjacke und zog ein Päckchen US-amerikanischer Zigaretten heraus. Als Geste der Friedfertigkeit hielt er Jalaluddin die Packung hin, der sich einen Stängel nahm und ihn anrauchte. Er war gewohnt, starken, grobgeschnittenen Landtabak in einer aus Bambus gefertigten Pfeife zu rauchen, doch er schätzte den Duft, der aus diesen amerikanischen Zigaretten aufstieg. Manchmal hatten die Piloten ihm ein paar Päck­chen zugesteckt. Die dozds von jenseits der Grenze trugen stets einen großen Vorrat davon bei sich. Jalaluddin wusste, dass die Banditen sie meist dazu benutzten, schnell einen Zug Opium zu machen.

Auch jetzt tat der Anführer das. Er nahm aus der anderen Tasche eine kleine Dose, die mit einem schmutzigweißen Pulver gefüllt war, tupfte das Ende seiner Zigarette in die­ses Pulver und brannte sie mit seinem tchaqmaq, dem im Hochgebirge als wertvollsten Besitz geltenden Flintstein, an. Er machte einen tiefen Zug und lächelte. Bei dem Pulver handelte es sich um minderwertiges Heroin, das die Panjshiri in primitiven Laboratorien herstellten. Obwohl sie von chinesischen Chemikern dazu angelernt worden waren, gelang ihnen das Endprodukt nicht vollkom­men. Es war nicht mit dem hochwertigen Heroin zu ver­gleichen, das in den großen Zentren der Opiumverarbeitung hergestellt wurde, und es diente den dozds nur zum eigenen Gebrauch.

„Du jagst den Drachen am helllichten Tag?“ fragte Jalaluddin mit gerunzelter Stirn. Für gewöhnlich rauchten die Leute den chandu, das Rauchopium, nur am Abend, jedenfalls hier in den Bergen, und sofern sie es überhaupt taten.

„Ein bisschen“, erwiderte Banshef. „Ein Zug jetzt, ein Zug in ein paar Stunden. Es erleichtert den Marsch über die Berge.“

Jalaluddin bezweifelte das, denn obgleich die Droge imstande war, das körperliche Befinden für kurze Zeit zu heben, ließ sie doch die Leistung schon bald erheblich absinken. Doch Jalaluddin sagte nichts. Er erkundigte sich nur: „Du sagst, ihr wollt austauschen. Habt ihr etwas mit?“

„Zehn Säcke.“

„Ihr könnt sie jetzt gleich ins Dorf tragen“, schlug Jalaluddin vor. „Mir Khaibars Keller ist leer.“

Es wiederholte sich jedes Mal das gleiche. Die Piloten hatten von ihrem Boss in Kabul die strenge Anweisung, mit den Panjshiri-Leuten nicht in Kontakt zu kommen. Das war vor langer Zeit so vereinbart worden, und jeder hielt sich daran. Sie brachten mit dem Hubschrauber ihre Fracht, die Panjshiri-Leute deponierten zuvor ihr Opium in dem Keller unter Mir Khaibars Haus. Wenn die Piloten sich überzeugt hatten, dass das Opium in dem Erdkeller bereit­stand, zogen sie sich zurück. Den Rest erledigte Mir Khaibar mit den Panjshiri-Leuten. Er schaffte das Opium zum Helikopter, und die Panjshiri-Leute luden die mitgebrachte Ladung selbst aus.

Mr. Oates, der vor Jahren mit Mir Khaibar diese Art des Austausches vereinbart hatte, wusste wohl, weshalb er so verfahren ließ. Niemand sollte je behaupten können, dass die Piloten der Air America mit den Panjshiri-Rebellen handelten. Das tat Mir Khaibar. Keiner der Panjshiri-Rebellen würde jemals, falls er gefangengenommen und verhört würde, beweisen können, er habe einen amerikanischen Piloten auch nur gesehen. Und keiner der Piloten würde seinerseits einen der Banditen beschreiben können, mit denen Mr. Oates Handel trieb. Selbst wenn man einen der Piloten zu einer Aussage über seine Tätigkeit brächte, würde er nur erklären können, er habe Kisten mit unterschiedlichem Inhalt in eines der notleidenden Dörfer in den Bergen des Nordens geflogen und sie dort an den Dorfvorsteher übergeben. Das war klug ausgedacht. Nichts war zu beweisen. Wenn man Mr. Oates nach dem Inhalt der Kisten fragte, würde er sogar behaupten können, es habe sich dabei um Hilfsgüter gehandelt.

Jalaluddin rauchte die Zigarette zu Ende, während Banshef zehn Leute bestimmte, die die Säcke zum Dorf tragen sollten. Als sie damit abzogen, folgte Jalaluddin ihnen. Banshef blieb zurück. Er sah auf seine Uhr und entschloss sich, noch ein wenig zu schlafen, bis die Maschine kam.

Die Panjshiri-Leute hielten sich nicht lange im Dorf auf. Sie luden die Säcke mit dem Opium ab und machten sich wie­der davon. Es dämmerte und die Berge schienen ins Unermessliche zu wachsen, während alles andere zusammenschrumpfte. Jalaluddin blickte Banshefs Trupp nach. Menschen und Tiere drängten sich immer kleiner werdend an die Flanke des Berges, bis sie außer Sicht gerieten. „Die Berge sind so hoch“, bedachte Jalaluddin das hiesige Sprichwort, „dass sogar die Vögel ihren Gipfel nur zu Fuß überwinden können.“

Jalaluddin begann indes die Säcke zurechtzustellen. Der Keller war leer, bis auf einen nicht ganz vollen Sack Rohopium, der in einer Ecke stand. Man hatte ihn zurückbehalten, weil der Stoff minderwertig war. Er stammte noch von der letzten Ernte, damals hatte ein unerwartet auftretender Sturm in der Nacht zwischen dem Anritzen der Kapseln und dem Abschatten des ausgetretenen Saftes eine Menge Schmutz und Laubreste über ein Feld geweht. Als die Frauen am Morgen mit dem Abkratzen begonnen hatten, hatte es sich gezeigt, dass so viele Fremdkörper an dem ausgetretenen Seim haftengeblieben waren, dass der Stoff für den Handel unbrauchbar war. Man hatte das Feld trotzdem abgeerntet, doch seitdem stand der Sack mit dem Rohopium in Mir Khaibars Keller. Jalaluddin rückte ihn beiseite, so dass er später nicht etwa aus Versehen mit verladen werde, und legte auch noch ein paar herumliegende leere Plastiksäcke ordentlich zusammen. Als er wieder hinaufstieg, begann die Sonnenscheibe gerade hinter den Bergkämmen im Westen zu versinken. Violettes Grau überzog bereits die Osthänge.

Jalaluddin horchte in den Himmel, doch noch war kein Flugzeuggeräusch zu vernehmen. Dafür erschien auf der Ebene, auf der sich der Landeplatz befand, Sanaubar. Sie hatte sich beeilt und den Weg von der Poststation in Shari-i-Buzurg ohne längere Rast zurückgelegt. Nun schlenderte sie mit lächelnden Augen auf Jalaluddin zu, und der Alte nahm wahr, dass sie vergnügt war wie immer, wenn sie einen Ausflug dieser Art gemacht hatte.

„Ich bin leichtsinnig gewesen“, sagte sie lachend. „Ich hatte noch ein paar Afghani. Dafür habe ich eine bunte Postkarte gekauft, mit einem Bild vom Buzkashi-Feld in der Neustadt und dem letzten Hammelziehen in Faïzabad. Ich habe sie an Khaled geschickt.“

„Soso, an Khaled“, sagte Jalaluddin. „Was hast du ihm geschrieben?“

„Dass wir auf ihn warten – und dass er bald kommen soll.“

Jalaluddin hörte die Flugmaschine, lange bevor Sanaubar sie wahrnahm. Düster brummte er: „Das wäre sehr gut. Wir werden den Jungen brauchen.“

Sanaubar nahm seine Hand und wollte mit ihm zum Haus gehen. Sie hatte die Gewohnheit, an seiner Hand zu gehen, seit ihrer Kinderzeit nie ganz aufgegeben. Oftmals, wenn sie es tat, war es ihr gar nicht mehr bewusst. Nun aber erinnerte Jalaluddin sie daran: „Ich muss auf den Platz, mein Kind. Geh allein ins Haus.“

Sie wollte eine Frage an ihn richten, doch da hörte auch sie das Triebwerk. Die Felswände warfen das Echo ihres Lärms zurück. Es klang wie ferner Donner, der schnell näher rollte.

„Sie kommen wieder?“

Jalaluddin machte eine Handbewegung in Richtung der entschwindenden Sonne. „Die Panjshiri waren schon da. An der Schlucht.“ Und er drängte Sanaubar: „Lauf ins Haus. Die Piloten brauchen dich nicht zu sehen. Wir sind allein, und man weiß nicht, auf welche Gedanken diese Kerle kommen, wenn sie wissen, dass du da bist.“

 

Afghanistan Dragon 


Roman 4

Afghanistan Horsegirl

 

Abenteuer am Hindukusch

 

Die Protagonistin ist emanzipiert,

statt sich dem Patriarchat unterzuordnen,

der Protagonist baut Brücken, statt sie zu sprengen,

und beide denken frei und kritisch,

statt sich in eine Ideologie zu fügen.

 

7 Das Dorf

 

Nicht lange nachdem sie die kleine Oase verlassen hatten, sahen sie unter sich im Tal, kaum einen Kilometer entfernt, ein kleines Dorf.

„Du wartest hier“, sagte Alizee, „hast du Geld?“

Er nestelte aus einer Gürteltasche einige Geldscheine.

„Hast du nicht mehr?“ fragte sie.

Er kramte noch einmal soviel Scheine heraus, sie nahm sie ihm anstandslos ab. „Ich bin so schnell als möglich wieder da“, sagte sie und lief zum Dorf hinunter.

Hermann blickte ihr lächelnd nach und setzte sich unter einen Maulbeerbaum.

Nach einer kleinen halben Stunde schon kam sie zurück, über dem Arm die erstandenen Kleidungsstücke.

„Viel war für das Geld nicht zu bekommen. Aber fürs erste muss es reichen“, sagte sie.

Hermann warf den einfachen, bereits getragenen, leicht verschlissenen Chapan über und verbarg sein helles rotblondes Haar unter der randlosen Kappe aus abgeschabten Ziegelleder.

„Ab jetzt mimst du den weisen Albino“, gebot Alizee, „der seinen Mund nicht unnötig aufmacht.“

„Vielen herzlichen Dank“, sagte Hermann.

„Das Geld ist alle“, sagte Alizee, „hast du nicht noch mehr?“

Es waren nur noch wenige Scheine aus der Geldtasche zu holen. „Das muss reichen“, sagte Alizee, „wir haben eine Chance, sie zu vermehren.“

„Wie das?“ fragte Hermann.

„Ich habe eben erfahren, dass noch am Vormittag einer dieser hierzulande üblichen Tierduelle stattfindet.“

„Hahn gegen Hahn?“

„Nein.“

„Widder gegen Widder?“

„Nein.“

„Hund gegen Wolf etwa?“

„Falsch. Das gibt es alles hier. Aber ganz falsch.“

„Also wer gegen wen? Sag doch schon!“

„Das errätst du nie!“

„Jetzt aber raus damit!“

„Willenskraft gegen Siegeswillen.“

Hermann sah sie verständnislos an.

„Das bedeuten die Namen der Kämpfer. Und es sind ... Kamele. Genauer gesagt: Brünstige Kamelhengste. So etwas hast du noch nicht gesehen.“

„Muss ich auch nicht.“

„Diesmal schon. Wir brauchen Geld.“

„Du meinst, wir sollen auf einen dieser geilen Trampeltiere Geld verwetten?“

Alizee nickte. „Es muss sein. Oder siehst du eine andere Möglichkeit der Geldbeschaffung? Einen Geldautomat suchst du hier vergeblich.“

Hermann zuckte die Achseln, konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen, und folgte Alizee hinunter in den kleinen Ort.

Am anderen Ende des Dorfes führte die Landstraße leicht ansteigend weiter zu einem kleinen natürlichen Plateau, auf dem ein provisorischer Kampfplatz rechteckig mit durch dicke Seile miteinander verbundenen Pfählen abgesteckt war. Der Boden war sandig, an einigen Stellen wies er dichte, hohe Grasbüschel auf. Auf beiden Schmalseiten waren geräumige Gatter errichtet, aufgeschüttete Rampen führten zu ihnen hinauf. Der Platz mutete an wie eine Box-Arena mit erhöhtem Ring, und war von allen Seiten rings herum für viele Menschen bestens einzusehen. Unten am Rande, in gebührendem Abstand, saßen auf Kissen und Teppichen die Honoratioren des Ortes und seine Ehrengäste. Als Alizee mit Hermann den Platz erreichte, wurden die Ankömmlinge sogleich von einer dichten Menschenmenge eingeschlossen. Die Leute gafften, staunten und schwätzten, und mit einem Mal öffnete sich eine Gasse, wollte man doch den Fremden selbstverständlich die gebotene Gastfreundschaft nicht schuldig bleiben. Vor allem dem hellhäutigen Mann, verehrungswürdiger Albino, stand natürlich ein Platz höchsten Ranges zu. Alizee suchte gewissenhaft ein freies Kissen aus, mit der Sonne im Rücken, und führte Hermann ehrerbietig zu dem aussichtsreichen Sitzplatz.

Hermann bedankte sich schweigend, aber gestenreich für die Höflichkeit der Männer, die auseinandergerückt waren, um ihn durchzulassen. Neben ihnen, zu beiden Seiten, hatten wohlbetuchte Männer Platz genommen, zweifellos gewichtige Persönlichkeiten, auch körperlich. Nur der Mann zur linken Seite war in ein fleckiges Gewand gekleidet, sein aufgedunsenes Gesicht abstoßend mit einem geradezu gehässigen Ausdruck, der zerfranste graumelierte Kinnbart ebenso lang wie ungepflegt. Freilich trug er den grünen Turban, den nur Mekka-Pilger aufsetzen durften, was ihn weit auch über die Reichsten und Mächtigsten emporhob.

Hermann nickte ihm nochmals dankend zu, worauf der abstoßende Mann eine Hand gen Himmel richtete.

Plötzlich drängte sich ein großer, beleibter Herr vorbei und nahm Hermann die Sicht, sodass er den riesigen Raben mit blutrotem Schnabel und ebensolchen Krallen nicht sehen konnte, der dicht über ihn hinwegflog.

„Du bist ein Glückspilz“, sagte Alizee leise.

„Wir haben doch noch gar nicht gewettet“, entgegnete Hermann.

Alizee zog es vor zu schweigen und Hermann im Unklaren darüber zu lassen, dass gerade der dicke Mann den Raben als das unheilvollste aller Zeichen verdeckt und den bösen Fluch von ihrem Liebsten abgewendet hatte.

„Und doch ist es Glück“, besann sich Alizee. „Denn nur in der Brunstzeit ist ein Kamelhengst bereit, seinen rivalisierenden Artgenossen anzugreifen. Zufällig sind gestern mit einer Karawane aus Badakhshan zwei brünstige Kamele eingetroffen, zwei riesige, aggressive Hengste noch dazu. Ihre Besitzer wollen mit ihnen ihre Reisekosten wieder hereinbekommen.“

Plötzlich blickte Hermann leicht erschrocken auf, vom abermaligen Flügelschlag des unheilvollen Raben. Hermann griente unbemerkt in sich hinein, er hatte schon davon gehört, dass man in Afghanistan Schnabel und Füße eines Raben mit Lack einzufärben pflegte und die Leute glauben machte, der Geist eines Kalifen wohne in diesem schwarzen Vogel.

Unversehens geriet die Menge ringsum in Bewegung, alle standen grüßend auf, außer dem Dicken mit seinem grünen Turban.

Ein Mann undefinierbaren Alters, aber sicher noch nicht alt, stolzierte durch die Menge. Sein Bart war graumeliert und, im Gegensatz zu den anderen Männern, kurz und auch sehr gepflegt, er trug einen europäischen Anzug und die hohe Persianerkappe, zwei Uniformierte geleiteten ihn, wohl ranghohe Polizeioffiziere.

„Der Distriktchef geruht sich die Ehre zu geben“, raunte der fromme Dicke. „Dieser mickrige kleine Beamte besitzt die Unverschämtheit, einen Hadj warten zu lassen. Er zeigt nicht einmal Eile, der hat die Ruhe weg. Man muss sich ja nur einmal die Augen ansehen von diesem spindeldürren Kerl.“

„Weshalb diese unheilige Hast?“ fragte ihn Alizee geradezu. „Und zudem verbietet nicht eine Zeile des Korans dem Gläubigen, sich so man will von Kräutern zu nähren“, fügte sie ironisch hinzu und zwinkerte Hermann zu, dem die Drogensucht des Distriktchefs nicht entgangen war.

„Ich bin extra des Spiels wegen hierhergekommen, Bursche“, schimpfte der Dicke mit einem Ton unterdrückter Leidenschaft in der Stimme und sah unverfroren zu dem Distriktchef hinüber, in dessen bislang matten Augen plötzlich ein verzücktes Feuer glomm, während er nervös seine Kette aus Lapislazulisteinen durch die Finger gleiten ließ.

Unvermittelt ging ein Raunen durch die Menge. Tiere wurden die Rampen hinauf in die Gatter geführt. Auf den Pfiff eines der Polizeioffiziere hin wurden die Gattertore geöffnet, und zwei gewaltige brünstige Kamelhengste traten sich gegenüber in der Arena.

 

Während die riesigen Tiere, das eine schwarz, das andere dunkelbraun, sich voller Arglist und Aggression belauerten, war die Menge längst vom Wettfieber ergriffen und fest in seinen Klauen. Auch Alizee überlegte fieberhaft, auf welches Tier sie ihr weniges Kapital setzen sollten.

„Welchen Hengst wählst du?“ hörte sie einen der langbärtigen Honoratioren neben sich fragen.

„Keinen“, gab einer der Ehrengäste neben Hermann zur Antwort. „Beide gehören sie mir, und ich will keinen Gewinn aus ihnen herausschlagen. Wenn es Allah gefällt, sollen sie den lieben Leuten hier zur Unterhaltung dienen.“ Er zwinkerte, unter seinem vornehm zu einer Krone gewickelten braunen Turban, dem vermeintlichen Albino diskret verschwörerisch zu. „Ich bin selbst gespannt, welcher Hengst die Leute mehr belustigt, der Schwarze oder der Braune.“ Und er zupfte wie von ungefähr leicht an den Enden seines braunen Turbans.

Alizee reagierte sofort. „Setz auf den Braunen“, raunte sie Hermann zu. „Alles auf den Braunen.“

Der vornehme Ehrengast zwinkerte Hermann nochmals aufmunternd zu, mit einem kleinen, anzüglichen Lächeln auf den Lippen, mit dem er auch Alizee ausgiebig bedachte.

Hermann fing sein Zwinkern, seinen Blick und sein Lächeln argwöhnisch auf, er witterte Hinterlist – und äußerte, auf den mächtigen schwarzen Kamelhengst setzen zu wollen. Einer der Honoratioren wollte dagegen halten, als sich unvermittelt der gottesfürchtige Dicke einmischte: „Glaubst du nicht, Herr, dass das Geld eines frommen Mannes genauso gut ist wie das des reichsten Khan?“

Damit nahm er Hermann die auf den Schwarzen gesetzten Scheine aus der Hand und zählte sie sorgfältig ab. „Ich halte dagegen“, sagte er mit Augen der Habgier und der Anmaßung, „der Braune wird gewinnen, Allah will es.“

Alizee, der das Blut ins Gesicht gestiegen war, raunte Hermann böse zum wiederholten Mal zu: „Was tust du da?! Ich habe gesagt: auf den Braunen!“

Natürlich war es jetzt längst zu spät, und es blieb ihnen nichts, als auf einen guten Ausgang des Kampfes zu harren.

 

Der Distriktchef hob den rechten Arm, um der Menge Ruhe zu gebieten, die auch ungesäumt eintrat. In den schweigsamen Gesichtern der Zuschauer stand Sensationslüsternheit, Geldgier und erwartungsheischende Ungeduld. Endlich erteilte der Distriktchef dem Polizeioffizier zu seiner Rechten das Wort. „Heute Vormittag haben wir die Ehre, den ehrenvollen Kampf zu sehen zwischen Willenskraft, dem schwarzen Kamelhengst, und Siegeswillen, dem braunen Tier. Möge der Stärkere den Sieg erringen.“

Der Distriktchef hob abermals den Arm zum Zeichen des Beginns.

Als hätten sie nur auf dieses Kommando gewartet, gingen die beiden Kamelhengste aufeinander los. Die zwei mächtigen, dunklen, zotteligen Rivalen hatten schon bei ihrer gegenseitigen Belauerung einen imposanten, Schauder erregenden Anblick geboten. Nun aber wandelten sie sich zu monströsen grausamen Ungetümen, die ihre schlanken, beweglichen Beine trotz der dicklichen Kniewülste wie Schlangenkörper ineinander verknoteten, ihre muskulösen Hälse wie urzeitliche Dinosaurier über die fransigen Höcker umeinanderschlangen und ihre bräunlichen riesigen Zähne einander in die Kehlen eingruben, während ihnen blutiger, schaumiger Geifer aus den Mäulern und von ihren verzerrten, herunterhängenden wulstigen Lippen troff.

Noch waren sie kräftig genug, sich mit einem Ruck voneinander zu lösen, um sogleich den bestialischen Kampf fortzusetzen. Die Ungeheuer traten mit ihren breiten Hufen und knotigen Knien aufeinander ein, schlugen wild um sich, bissen, was sie erreichten konnten, und versuchten, ineinander verknäult, sich gegenseitig zu erdrosseln, während die Menge tobte und wütete und brüllte, angesteckt von der Aggression der Bestien und von dem berauschenden, besitzergreifenden Spielfieber. Darüber kreisten behäbig im Segelflug Raben, Geier und Adler in ihren unterschiedlichen Höhenrevieren.

Unaufhörlich erschallte das viehische Gebrüll der brünstigen Kamelhengste, mal jammervoller Klagelaut, mal wildes Kampfgeheul. Und auch aus der Menge ertönte hitziges Gebrüll und wütige Anfeuerungsrufe. Die Menschen waren fiebrig erhitzt in fanatischem Taumel und zusätzlich durch die brennende Sonnenglut und zugleich rauschhaft benommen durch die scharfen Gerüche von Schweiß und Blut und Adrenalin.

Hermann kratzte sich aufgewühlt die rötlichen Barthaare, er kam zusehends mehr ins Schwitzen, heftig drückte er dem schwarzen Kamel die Daumen, während er mit fiebernden Augen und Gedanken sein favorisiertes Kamel zum Sieg führen wollte, indes ein mulmiges Gefühl in ihm aufstieg und anwuchs, das er nicht zu unterdrücken vermochte.

Einzig Alizee wandte ihre Blicke, nicht aber ihr Gesicht ab, sie vermochte die grausige Szene kaum auszuhalten und durfte ihre tiefe Abscheu der Männerwelt gleichwohl nicht zeigen. Sie bekam auch nicht die stechenden Seitenblicke mit, die der füllige Fromme ihr unablässig zuwarf.

Ein einziger weiterer Mensch im Publikum schien, obschon direkt von der Ringecke aus zusehend, nicht dem berauschenden Taumel der Schaulustigen zu verfallen. Gewandet mit einem dunkelblauen Kaftan stand er breitbeinig regungslos auf den Pfahl gestützt, sein ovales, grobgeschnittenes Gesicht unbewegt unter dem obligatorischen Turban. Nur sein großer Mund, in seinem schwarzen, ungeschnittenen Vollbart zu einem zynischen Grinsen verzerrt, wies auf sein ungemeines Interesse an dem Kampf hin. Und als sein Nebenmann, in aufgelöster Erregung und fanatischer Begeisterung, ihn am Ärmel packte, und rief, dass nur Willensstärke, der Schwarze, gewinnen könne, verriet der bohrende, zornentbrannte Blick, mit dem er den anderen fixierte, seine rauschhafte, geheimnisvolle Anteilnahme.

Dessen ungeachtet fragte der Nebenmann ihn lautstark, wer denn seiner Meinung gewinnen würde. Der Mann im dunkelblauen Kaftan schüttelte den anderen unwirsch ab wie ein lästiges Insekt. „Lass mich in Ruhe, du Wanze“, schrie er ihn wutentbrannt nieder und hatte den sofort Kuschenden gleich wieder vergessen, weil sich ein Aufschrei der Menge um ihn herum erhob.

Die ungeheuerlichen Kamelbestien hatten sich noch ungestümer und noch tiefer in die Kehle des jeweils anderen verbissen, laut krachte das grässliche Geräusch knackender Wirbel. Doch im nächsten Augenblick schon befreiten sich die Kamelhengste aus der gegenseitigen verschlingenden Umklammerung und stießen ohrenbetäubendes Gebrüll aus, sich erst wechselseitig anklagend und sodann den glühenden Himmel.

Durch ihr eigenes Geheul angefeuert nahmen die Tiere ihren grauenvollen Kampf wieder auf und bekamen sich rasch wieder mit kraftvollem Biss bei den Kehlen zu fassen. Willenskraft, das schwarze Kamel, schüttelte mit Macht den Hals seines Rivalen Siegeswillen, ein geiferndes Raubtier, und wiederum knackte krachend ein Halswirbel, doch noch einmal konnte der Schwarze sich aus der misslichen Lage befreien. Blut troff ihm schwallweise von seinem schweißigen Hals herunter auf die Erde, aus einer tiefen Wunde, die der Gegner in seinen stieren Blick fasste, zielgenau zubiss und die Halsschlagader endgültig zerfetzte. Innerhalb weniger Sekunden sank das schwere, riesige Tier zu Boden, blieb reglos liegen, ehe es ein letztes Schnauben ausstieß und verendete.

Der siegreiche Kamelhengst streckte triumphierend den Kopf zum Himmel empor und ließ unvermerkt seinen Besitzer heran, der ihm einen Strick umband und in der Arena herumführte, um den rasenden Beifall der Menge entgegenzunehmen, während Stallknechte den Kadaver mit zwei Pferden am Dreisill aus der Arena schleppte.

Die Leute, nun gar nicht lieb oder gut, sondern tobsüchtig, waren außer sich. Sie schrien und tobten und brüllten und trampelten. Niemand achtete auf Alizee, die leise, aber hemmungslos vor sich hin weinte. Ein bitter enttäuschter Zuschauer mehr, der sein ganzes Geld verloren hatte. Der fromme Dicke sammelte von den vielen Verlierern die Gewinne ein und hielt die Scheine in die Luft, triumphierend wie zuvor der brünstige Kamelhengst, und schwang das Geld durch die Luft wie eine schwer errungene Trophäe. Hermann, ohne jedes Kapital jetzt, hielt den Kopf tief gesenkt, schien am Boden zerstört.

 

Nachdem sich der Tumult der Menschenmasse etwas gelegt hatte, erhob sich der spindeldürre Distriktchef und gebot mit einer ausladenden Gebärde der Menge Ruhe. Als auch der letzte Zuschauer verstummt war, nahm der Hagere großspurig das Wort. „Haben wir nunmehr den endgültigen Sieger des Tages gesehen?“ fragte er.

„Wir haben ihn gesehen!“ brüllte die Menge. „Der Braune ist Sieger!“

Das Gebrüll verstummte sofort, als der Distriktchef abermals den Arm hob.

„So sei es“, verkündete er und ließ seinen Blick über die Menge schweifen. „Es sei denn, nach dem Gebot der Gerechtigkeit und Redlichkeit ...“ Er hielt inne, wartend, dass wieder Ruhe einkehrte, und fuhr schließlich fort: „... es sei denn, dass sich jemand meldet, um dem Gewinner den Tagessieg streitig zu machen.“

„Oh großer Herr“, rief der Besitzer des siegreichen Kamelhengstes, „welch große Weisheit spricht aus deinen Worten. Mein Hengst wartet nur darauf, sich noch einmal beweisen zu dürfen.“

„Ist dein Tier nicht zu sehr erschöpft für eine direkte Revanche?“ fragte der Distriktchef. „Wie lange braucht er als Pause, um sich wieder zu erholen?“

„Keine Pause“, antwortete der Kamelbesitzer selbstsicher, „es reicht durchaus die Zeit, bis ein mutiger Gegner gefunden ist. Wenn überhaupt.“

 „Wie du willst“, sagte der Distriktchef.

„Ich biete“, ergriff der Kamelbesitzer wieder das Wort mit siegessicherem Lächeln, „als meinen Einsatz die gesamte Summe, die ich soeben durch meinen Hengst gewonnen habe. Ist jemand hier, der dagegen halten will?“

Der Distriktchef ließ erneut seinen forschenden Blick über die Menge schweifen. Kein Zuschauer rührte sich, keine erhobene Hand war zu sehen.

„Offenbar gibt es niemanden hier“, sagte er, „der die Herausforderung annehmen möchte.“

Noch ein paar Augenblicke wartete er, die schweifenden Augen auf die Menge gerichtet, bevor er anhub: „Wenn nun niemand die Herausforderung annimmt, so habe ich zu erklären, dass ...“

Eine laute, unerschrockene Stimme ließ ihn seinen Satz nicht zu Ende zu sprechen. Von dem östlichen Eckpfahl her war der raue Ruf zu vernehmen: „Halt! Halt! Hier! Hier! Ich!“

Der Mann im dunkelblauen Kaftan unter schwarzer Fellweste, mit kräftiger Statur, kam herbeigeschlendert mit federndem Schritt, auf seinem Gesicht lag ein selbstzufriedener Ausdruck, und seine Lippen waren spöttisch verzogenen zu einem geheimnisvollen Grienen, wobei seine Augen unternehmungslustig funkelten. Auf seiner rechten Schulter hing ein altertümlich aussehendes Gewehr, und über seine Brust gekreuzt trug er zwei breite Patronengurte. Er grüßte, mit nachlässiger Gebärde Brust, Stirn und Turban antippend, und wandte sich selbstbewusst an den Distriktchef.

„Ich bitte, mir zu vergeben“, sprach er, „dass ich erst so spät reagiere. Doch ich stand, wie du gesehen hast, hoher Herr, an dem Eckpfahl, und ich hätte nicht gedacht, dass sich so gar niemand meldet.“

Der Distriktchef musterte den Fremden von Kopf bis Fuß mit schlecht verhohlener Skepsis. „Du willst dich also mit deinem Tier dem Kampf gegen Willenskraft stellen?“

„Es ist so, wie du sagst.“

Aus der Menge wurden entgeisterte Rufe laut, und der Distriktchef gebot wiederum Einhalt.

„Und du bist dir sicher, obwohl du doch gesehen hast, wie der Braune seinen tapferen Gegner geschlagen hat?“

„Gleichwohl, ich bin ganz sicher.“

„Ja, besitzt du denn wirklich ein Tier, das einem solchen Kampf gewachsen ist?“

„So ist es.“

„Kann man es denn einmal sehen, dein unbekanntes Meisterkamel?“

„Man kann.“

„So zeig ihn uns nun endlich!“

Mit aufreizender Langsamkeit zog der Besitzer des neuen Bewerberkamels eine Flöte aus dem Hemd und entlockte dem Instrument einen schrillen Pfiff, der die Zuschauermenge zusammenschrecken ließ, und ein Kamel veranlasste, die Rampe zu dem östlichen Gatter heraufzutrotten. Mit gesenktem Kopf verhielt es vor dem Gattertor zur Arena.

Verblüfft und ungläubig starrten die Leute auf dieses Wesen und rieben sich die Augen, denen sie nicht mehr zu trauen wagten. Das Kamel des Fremden war höchstens mittelgroß, mager, sein Höcker hing lasch zur Seite herunter, sein dunkelgelbes Fell war schmutzverklebt und verfilzt. Doch was das Schlimmste war und die Zuschauer mächtig verstörte, war der linke Hinterlauf des Kamels, der zu kurz geraten und verkrüppelt war zu einem verhornten Huf.

„Teufelsfuß! Teufelsfuß!“ ging sogleich das Geraune durch die Reihen der Zuschauer wie ein Lauffeuer. Ihr Unglaube und ihre Verblüffung wandelten sich jäh in blanke Wut.

Hermann und Alizee, die dem Treiben mit unverhohlenem Interesse zugesehen hatten, schauten sich amüsiert in die Augen. Das konnte ja heiter werden, sagten ihre Blicke. Kam da ein Fremder mit diesem jämmerlichen Untier, so dass die guten Leute sich verhöhnt vorkommen mussten. Hermann entfuhr ein kopfschüttelndes Kichern, das ansteckend zu sein schien, denn die erbosten Rufe gingen in hämische Lacher über. Der Besitzer von Siegeswillen machte Anstalten, seinen Prachtkamelhengst von der Arena führen zu lassen, hatte er doch keineswegs die Absicht, sein edles Geschöpf diesem abscheulichen Untier der Entehrung preiszugeben.

Da ließ der Dunkelblaue zwei Pfiffe aus seiner Flöte ertönen, ein wohltönender Zweiklang und nicht so schrill wie zuerst. Sein Kamel hob sofort den Kopf und ließ seine Lauscher spielen. Auch das Prachtkamel verhielt mit aufmerksamen Augen und Ohren.

„Muss ich mir solchen Schimpf und Spott gefallen lassen?“ fragte der Besitzer des Prachtkamels aufs höchste empört. „Oh, ihr ehrbaren Männer, rauft eure Bärte, Zeichen eurer Weisheit, und verhindert – bei Allah, gepriesen sein Name – eine solch schmachvolle Entehrung.“

„Würden Bärte für Weisheit stehen“, entfuhr es Alizee leise, „wären alle Ziegen Propheten.“

„Willst du uns alle hier verhöhnen und lächerlich machen?“ rief der Distriktchef mit zorniger, bedrohlicher Stimme dem Herausforderer zu. „Ich werde das nicht straflos hinnehmen, Fremder, glaube mir!“

„Verhöhnen?“ sprach der Gewehrträger, die rechte Hand aufs Herz gelegt, „nichts weniger als das. Höchstens vielleicht mich selbst. Denn sieh, durch welchen Einsatz ich meine persönliche Ehre in dieser meiner Herausforderung aufs Spiel setze.“ Damit zog er aus der Tiefe seiner Kaftantasche ein dickes Geldbündel. „Ist das vielleicht eine lächerliche Summe, irgendjemandem zum Hohn?“

Der Distriktchef überprüfte das Bündel sorgfältig, ließ den Daumen über die Scheine gleiten, nickte befriedigt und wandte sich an den Besitzer des Prachtkamels. „Die Summe stimmt“, erklärte er. „Bist du gewillt, deinen Einsatz aufrecht zu erhalten?“

Der Angesprochene runzelte zunächst die Stirn, als wollte er sich die Sache noch einmal überlegen. Er hegte wohl einen Argwohn, ob die Sache auch mit rechten Dingen zuging. Er suchte mit seinen Blicken den Himmel ab, und als er keinen einzigen Raben entdeckte, zuckte er die Achseln. „Also warum nicht?“ brummte er. „Schließlich habe ich das Recht, für den Schimpf, der meinem Hengst zugefügt wird, angemessen zu kassieren.“

„Nun also, dann lass dein Kamel ins Gatter führen“, gebot der Distriktchef, „während wir das Ende der Wettabschlüsse abwarten.“

Niemand rührte sich, und es stellte sich heraus, dass nicht eine einzige Wette zustande kam. Das war unerhört und das erste Mal bei einem Tierkampf, viel Getuschel und Geraune ging durch die Reihen der Zuschauer, aber alle wollten sie nur auf den prächtigen braunen Kamelhengst setzen. Man musste wirklich völlig verrückt sein, wenn man diesem kläglichen Untier mit dem Teufelsfuß auch nur die winzigste Gewinnaussicht zugestand.

Der dicke Frömmling setzte eine harmlose Miene auf, als er sich an Hermann wandte. „Du hast bestimmt auch wenig Neigung, Geld auf dieses Vieh zu setzen?“ fragte er mit schmeichelnder und gleichzeitig verachtungsvoller Stimme. „Denn ich muss selbstredend – du wirst das begreifen – bei dem braunen Kamelhengst bleiben.“

„Ich habe überhaupt kein Geld mehr“, entgegnete Hermann bedauernd mit ausgebreiteten Händen.

Jeder in der Menge hatte seine Rede vernommen, ein enttäuschtes allgemeines Stöhnen ging durch die Reihen.

„Nun“, begann der Fromme wieder honigsüß und ließ seinen Blick, in dem jetzt ein unverhohlen begehrlicher Ausdruck lag, zwischen Hermann und Alizee hin und her wandern. „Sei versichert, o fremder Albino, dass es mich glücklich machen würde, dir jeden Betrag, den du willst, zu kreditieren. Das ist doch mehr als selbstverständlich bei jemandem, der einen solch lieblichen, gutaussehenden Knaben zum Begleiter hat, den ich liebend gerne als Unterpfand akzeptiere.“

Erst begriff Hermann den Sinn dieser Worte nicht, und als er ihm jäh klar wurde, schüttelte er heftigst den Kopf. „Das kommt ja gar nicht in Frage! Niemals!“

Er war dermaßen erbost über das Ansinnen des frommen Mannes, dass er die Ellbogenstöße Alizees in seine Rippen nicht spürte. Sie musste ihn kräftig kneifen, ehe er sich ihr zuwandte.

„Stimm zu!“ forderte sie ihn auf.

„Niemals!“ wiederholte er grollend, und seine entgeisterte Miene drückte aus, wie unbegreiflich er alles fand, was sich gerade hier abspielte.

„Der weise Albino stimmt zu“, erklärte Alizee statt seiner feierlich.

„Redet er wahr?“ fragten der Fromme und der Distriktchef wie aus einem Munde.

Nach einigem Zögern und nachdem ihn Alizee nochmals kräftig unvermerkt geknufft hatte, nickte Hermann beklommen.

„Du setzt also, o fremder Albino, auf das Kamel mit dem Pferdefuß“, fragte der Fromme noch einmal nach, „und akzeptierst die genannten Bedingungen mit deinem knabenhaften Begleiter als Faustpfand?“

Nach einem eindringlichen und innigen Blickwechsel mit Alizee gab Hermann schließlich sein Einverständnis. „Ich stimme also zu“, sagte er mit bemüht fester Stimme.

„Und welche Summe darf ich dir leihen, o Albino? Sagen wir Zehntausend? Euro?“

„Zwanzigtausend“, rief Alizee.

„Abgemacht“, sagte der Fromme eifervoll.

„Abgemacht“, sagte Hermann gefasst.

„Alle haben es gehört“, rief der Distriktchef. „Die Sache ist also besiegelt und die Wette gilt. Gebt euch denn nun die Hand zur Bekräftigung.“

Der Fromme reichte Hermann mit kleinem Lächeln schnell die Hand, als befürchte er, der andere könne noch im letzten Augenblick einen Rückzieher machen, doch Hermann schlug schicksalsergeben ein, nicht ohne Alizee mit einem flehenden Blick zu bedenken.

Mitleidiges, bestürztes Geraune lief durch die Zuschauerreihen, fassungslose Worte wurden gemurmelt. „Welch ein Schande! – Ein so junger Knabe! – Verwettet und verloren! Einen unschuldigen Jüngling! – Das Spielfieber hat den Albino um seinen Verstand gebracht!“

Doch allmählich änderte sich die Stimmung im Publikum und schlug vollends um, als einige sich vor den Kopf stießen und empörte Rufe plötzlicher Erkenntnis laut wurden. „Was ist mit uns?“ riefen die ersten Leute. „Ja, was ist mit uns?“ schlossen sich die anderen an.

„Stehst du für jede Summe gut?“ fragte der Distriktchef den frommen Dicken. „Für jede Wette, die der Albino annimmt?“

„Das tue ich“, erklärte der Fromme. „Ich schwöre es. Bei meiner Ehre. Falls er gewinnen sollte, versteht sich.“

„Ich akzeptiere jeden Einsatz“, rief Hermann unter den aufmunternden Blicken Alizees.

Niemand blieb nun abseits, weil jeder sich sicher war, dass er gewinnen müsse. Jedermann leerte seine Taschen oder Börsen, ob viel oder wenig, zuletzt sogar der Distriktchef, während Alizee Hermanns Blick durch einen leisen Knuff in die Rippen auf das Gatter lenkte, wo man an dem kleinen, verkrüppelten Kamelhengst ein noch kleineres Kamel vorbeiführte; Hermann begriff: eine rossige Kamelstute. Als sämtliche Einsätze und die Namen dazu notiert waren, ging der Mann im dunkelblauen Kaftan auf Hermann zu.

„Woher nimmst du nur dein Vertrauen zu meinem Kamel?“ fragte er. „Dein Mut ist wohl größer als dein Verstand. Ich weiß nicht, ob ich dich bewundern soll oder belächeln. Immerhin danke ich dir.“

Der Distriktchef klatschte in die Hände zum Zeichen, dass der Kampf beginnen solle.

Die Gatter wurden geöffnet, die Tiere betraten die Arena, das Prachtkamel in stolzem Schritt, Teufelsfuß in gemächlichem Trott. Die Tiere blieben stehen, um sich zu belauern, dann schritt Siegeswillen als erster voran, während der kleine Gegner erst durch einen harmonischen, sonoren Dreiklang aus der Flöte seines Besitzers in Bewegung zu bringen war.

In fieberhafter Erwartung, voller Ungeduld und Habgier, starrte die Menge auf die beeindruckenden Tiere, die sich in Trab setzten, wobei Teufelsfuß jetzt deutliches Hinken zeigte, ein minderwertiges Kamel mit verkrüppeltem Hinterlauf, doch mit dem intakten Instinkt des brünstigen Hengstes.

Manche Leute murrten, andere lachten. Kurz vor einem möglichen Zusammenprall blieben die Tiere stehen und beäugten sich wieder lauernd. Plötzlich stürmte der Braune auf seinen viel kleineren Feind los, der aber in flinker Drehung sogleich auswich, sodass der Gegner an ihm vorbeitrabte. Der Braune drehte sich verdutzt herum, den kleinen Kamelhengst argwöhnisch belauernd.

Was dann geschah, verlief schnell und unfassbar. Das Prachtkamel schritt vor und legte seinen dicken Hals auf den Rist des kleineren Rivalen, der in die Knie ging und zu Boden gedrückt wurde, sich aber sogleich wie eine Schlange wieder herauswand. Die Tiere verbissen laut brüllend ihre Kiefer ineinander, rissen sich los, und als der braune Prachthengst versuchte, das mickrige, kleine Kamel seitlich in den Hals zu beißen, drehte sich der Angegriffene urplötzlich auf der Stelle um, dem Rivalen sein Hinterteil darbietend, und keilte mit seinem verkrüppelten Hornfuß jählings aus und brach dem braunen Prachtkamel den Unterschenkel des Hinterlaufs. Eine Wolke aus Staub, Sand und Dreck wirbelte hoch, und als der braune Riese jämmerlich nach hinten einknickte, tauchte Teufelsfuß aus der Wolke auf wie ein Dämon und zerschmetterte mit einem zweiten Tritt das gegnerische Vorderbein. Der prachtvolle Kamelhengst, dem schaumiger Geifer aus dem Maul quoll, brach vollends ein und zusammen, am ganzen riesigen Leib zitternd, mit einem großartigen Krachen, sich wie in Zeitlupe auf die Seite legend, mit zwei einzelnen kräftigen Tritten vollkommen kampfunfähig gemacht von einem nur mittelgroßen, zotteligen, verkrüppelten Kamelhengst mit einem Teufelsfuß.

Der Kampf war zu Ende, ehe er noch richtig angefangen hatte. Allen war bewusst, dass es für das gefallene Prachtkamel nur mehr eines geben konnte: Den Gnadenschuss.

Der Fromme schrie zuerst: „Verrat! List! Tücke!“ Und der Besitzer des todgeweihten Prachtkamels brüllte ebenfalls: „Arglist! Täuschung! Unrecht!“

Die Menge erstarrte in abgrundtiefer Enttäuschung, nur vereinzelt ertönten die Rufe: „Verrat! List! Tücke!“ und „Arglist! Täuschung! Unrecht!“

„Jeder hat seinen Teufelsfuß gesehen“, rief der Distriktchef, ehe noch die Menge sich wieder ganz gefasst hatte.

Bitteres, langes Schweigen folgte seinen Worten, ein verblüfftes, säuerliches, blindwütiges Schweigen, doch auch ein nachdenkliches. Ein jeder stand im Kampf mit sich selbst: Wahrhaftigkeit und Habsucht lagen im Streit miteinander. Gerechtigkeit und Redlichkeit aber obsiegten.

Sind wir so blind gewesen, dachten sie seufzend, dann muss es wohl der Wille Allahs gewesen sein.

Der Besitzer des Siegerkamels ließ eine triumphierende Melodie aus seiner Flöte ertönen, worauf der kleine Kamelhengst mit dem Klumpfuß vom Kampfplatz zum Gatter trottete und die Rampe hinab zu seiner Stute, ganz ohne zu hinken und mit erhobenen Kopf.

Der Distriktchef händigte Hermann bündelweise die gewonnen Geldscheine aus.

Der dicke Fromme bedachte Alizee mit einem zutiefst enttäuschten, verzehrenden und pikierten Blick.

Hermann reichte eines der Geldbündel dem stolzen Mann im dunkelblauen Kaftan mit der zottigen schwarzen Fellweste, wortlos mit verständnisinnigen Blick, und packte die restlichen Bündel nachlässig in den Rucksack, schulterte ihn auf seinem Rücken und nahm Alizee unter den stummen Blicken der Leute unbekümmert bei der Hand.

Sie gingen ohne Abschied.

 

http://www.amazon.de/Afghanistan-Horsegirl-ebook/dp/B005FQTC6W

 

 

Roman 5

Afghanistan, Srebrenica & zurück

Kriegsreporter-Roman aus Bosnien

von © Norbert F. Schaaf

Alles in unserem Leben,
die Anstrengungen, die Gedanken, die Träume,
die Blicke, das Lächeln, die Worte, die Seufzer,
strebt schließlich dem anderen Ufer zu,
dem es sich als dem Ziel hinwendet und
an dem es erst seinen wahren Sinn erhält.
ALLES, WAS UNSER LEBEN AUSMACHT,
hat etwas zu überwinden und zu überbrücken;
unsere Hoffnung freilich
befindet sich immer
auf der anderen Seite.

IVO ANDRIC
Bosnier, Literaturnobelpreis 1961

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Autors urheberrechtswidrig und nicht gestattet. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigung, Übersetzung und/oder die Verwendung in elektronischen Systemen. © NOUVEL AAR - 2008

Unverkäufliche Leseprobe des Autors Norbert F. Schaaf, der als Ex-Bundeswehr-Soldat mit Ausbildung bei den Fallschirmjägern ein `NATO-Certificate´ über Auslandseinsatz besitzt:

4 Die Straßen Sarajevos

 

Die Reporterin benutzte den alten, klapprigen Motorroller des verstorbenen Gasthausbesitzers. Er trug noch die Werbeaufschrift und war auch sonst am besten geeignet, sich in der ramponierten Infrastruktur der Olympiastadt zu bewegen. Die Obala Vojvode Stepe wimmelte von Menschen. Scheinbar war ganz Sarajevo auf den Beinen. Der Waffenstillstand wurde – ausgenommen die Heckenschützen – von den Parteien nur tagsüber seit mehr als achtundvierzig Stunden eingehalten, er zerfaserte also bereits wieder wie ein zu lange getragenes Kleid aus schlechtem Material; allenfalls die Artillerie auf den umliegenden Bergen schwieg. Die Fahrzeuge, Personenkraftwagen, Mopeds und Fahrräder sowie der Roller mit der deutschen Journalistin, stauten sich nicht nur vor den Kreuzungen mit ihren zerstörten Ampelanlagen, sondern vor jedem einzelnen Kraterloch der unzähligen Granateneinschläge, die mit aller Vorsicht umfahren sein wollten. Die Autos fuhren Stop and Go, höchstens Schritttempo und behinderten die fließende Fortbewegung der unmotorisierten Verkehrsteilnehmer. Vor und in den Geschäften drängten sich die Leute. Die Läden erinnerten Anica an Garagen; zu ebener Erde gelegen stand ihre gesamte Vorderfront offen. In diesen Schaufenstern ohne Glasscheiben hingen die Waren: Früchte oder Fahrradreifen, Kleidung oder Topfwaren, oft auch alles durcheinander, von allem etwas in jeglichem Geschäft. Nur in den Ständen auf dem Markt war das Sortiment streng spezialisiert, wird gepflegt und sachkundig angeboten – freilich zu phantastischen Preisen in ausschließlich deutscher oder nordamerikanischer Währung.

Anica spürte auf der Haut die feuchtheiße Luft und die Insekten, die voller Lebenslust in der Sonne von den Abfällen aufschwirrten; hervorgekrochen aus den dunklen Tiefen mancher Hotelbetten, dachte die Journalistin. Sie verspürte wie die meisten Menschen eine sonderbare Niedergeschlagenheit; sonderbar, weil trotz der Trägheit des Körpers der Geist unruhig wachte, als befürchte er drohendes Unheil.

An den mehrstöckigen Häusern starrten die Hülsen der zerschlagenen Neonreklamen leer herunter, Mauern und Fassaden waren übersät von Einschusslöchern. Neben der schwarzen Punktschrift der Granatlöcher fehlten trotzdem nicht völlig die einschlägigen Werbelogos der Getränke-, Zigaretten- und Modeindustrie, sondern prangten auf improvisierten Sonnenschirmen, als Ladentische dienenden Verpackungskisten und auf koloristischen Plastbeuteln.

Das lärmende Geschrei der Händler erfüllte die Luft und erinnerte Anica daran, dass sie den orientalischen Basaren hier näher war als dem künstlichen Prunk der westlichen Fußgängerzonen und Shoppingcenter. Kinder jagten sich lärmend auf den schmutzverkrusteten, fleckigen, übelriechenden Gehsteigen. In der Auslage eines Fernsehgeschäfts stand eine Reihe Bildschirme mit demselben Programm: in der bekannten amerikanischen Krimiserie muteten die serbokroatischen Dialoge der Hauptdarsteller recht befremdlich an. Von den Radioempfängern im hinteren Verkaufsraum drang auf die Straße an das Ohr der Rollerfahrerin laute Schlagermusik, die sich in nichts von den Tönen anderer europäischer Metropolen unterschied. Zwischendurch empfahl eine marktschreierische Männerstimme, ein bestimmtes deutsches Waschmittel zu benutzen und sich nur mit Zahncreme amerikanischer Herkunft das Gebiss zu pflegen. In diese polychrome City-Atmosphäre hatte sich Anica rasch eingewöhnt. Lediglich der Kraftverkehr in diesem Getümmel von Zerstörung und Chaos, aber gleichwohl ungebrochenem Lebenswillen, hatte seine Tücken.

Schlagartig wurde die im Vergleich zu den vergangenen Tagen beinahe idyllisch zu nennende Szene in eine Tragödie verwandelt. Aus heiterem Himmel schoss die serbische Artillerie wie verrückt eine Granate nach der anderen in den Straßenzug. Beißender Qualm erfüllte allmählich die Luft und ätzte der Journalistin die Lungen. Sie stellte abgehackt hustend den Roller ab in das geschlossene Portal eines Gebäudes hinter ein Schild mit der Aufschrift PSYCHIATRISCHE KLINIK.

„Verfluchte Schweinehunde!“ hörte sie einen Passanten schreien, sah, dass er sich wie alle anderen Menschen schutzsuchend an eine Häuserwand drückte. „Sie schießen sich wieder ein und ausgerechnet bei uns müssen sie anfangen!“

Anica wusste, die Artillerievorbereitung war damit jedoch bereits zu Ende gegangen. Diesmal wurde hauptsächlich mittelschwere Artillerie eingesetzt, die man nachts überall, wo es möglich war, zum Direktbeschuss in Stellung gebracht hatte. Obgleich das dumpfe Dröhnen und beklemmende Beben der Erde von nahen Abschüssen schwerer Kaliber fehlte, waren die Straßenzüge und der naheliegende Markt von Knallen und Krachen erfüllt. Das Feuer einer Batterie schien aus unmittelbarer Nähe, von einem anliegenden Stadtteil vielleicht, auf die City einzuhämmern. Es hörte sich an, als knacke jemand Riesennüsse direkt an Anicas Trommelfell.
Die Geräusche des Krieges waren im hautnahen Erleben doch sehr sonderbar, dachte die Journalistin, und so verschiedenartig. Manche klangen monoton und melancholisch wie in eine leere Blechtonne tropfendes Regenwasser. Andere tönten melodisch und skurril, gleich einem monströsen Xylophon. Dem `Wlomp, wlomp´-Stakkato der Artillerie folgte sostenuto das `Kwumm, kwumm, kwumm´ der Granatdetonationen, untermalt von dem charakteristischen `Bup, bup, bup, bup´ einer Kalaschnikow. Ganz bestimmte Geräusche aber frappierten durch das Missverhältnis von Ursache und Wirkung: Ein sirrendes Stückchen totes Eisen reichte völlig, um ein Menschenleben auszulöschen. Heute klangen alle Geräusche schrill und aggressiv; etwas Brühheißes, Tropisches lag in ihnen, wahrscheinlich weil es trotz brennender Sonne so schwülwarm war.

Einige Dutzend Granaten schlugen so nah bei Anica ein, dass jedes Mal der Boden um sie herum erzitterte. Der Rauch der Detonationen über ihr wirbelte und quirlte, als würde vom Himmel bis zur Erde ein schwarzer Brei mit dem Löffel umgerührt. Eine vor der Sparkassenfiliale parkende deutsche Luxuslimousine erhielt einen Granateneinschlag, im Asphalt qualmte ein Trichter, ringsherum streckten sich bizarr verbogene Eisenstücke und verbeulte Blechteile. Für Anica war es eine Qual, den beißenden Qualm des heißen Asphalts einzuatmen. Auf der Straße rollte ein abgerissenes Rad auf sie zu. Bevor es ins Taumeln kam, kullerte es noch einige Meter, als wollte es bis zu ihr rollen, kippte jedoch vorher um, der stählerne Radkranz schepperte auf dem Straßenbelag. Dann schlug ein Volltreffer in die Hausruine, an deren Mauerfuß sich die Reporterin auf den Boden warf. Sie verspürte Druck, auch einen heftigen Schlag und vernahm ein mächtiges Dröhnen, bevor eine Last auf sie stürzte und ihr die Luft abschnitt. Steinbrocken der einstürzenden Mauer und splitterndes Holz von verkohlten Fensterrahmen hatten sie vollständig verschüttet. Schwer atmend arbeitete sie sich unter Anspannung aller Kräfte aus den Trümmern. Es gelang ihr, weil sie sich vor dem Einschlag den Kopf mit der Handtasche bedeckt hatte und die Hände oben geblieben waren. Endlich bekam sie die Hände frei, schob grimmig alles beiseite, was sie am Aufstehen hinderte. Sie erwischte sogar noch den Schulterriemen mit ihrer Handtasche. Schließlich kroch sie etwas benommen, aber heil aus ihrem steinernen Grab. Schwankend stellte sie sich auf die Füße, wischte sich den Schweiß aus Angst und Schwüle von der Stirn. Rings um sie war viel Zerstörung, aber die Granatexplosion hatte die Hauswand nach innen fallen lassen, und die Detonation war erst erfolgt, als die Journalistin schon unter einem Holzrahmen lag.

Unvermittelt kauerte sie sich wieder zu Boden, es gab keinen konkreten Grund, nur das instinktive Empfinden einer Gefahr. Sie blickte sich um und gewahrte eine Rakete, die quasi friedlich in einem Winkel des Rahmens steckte. Sie hatte das Holz durchbohrt, ohne zu explodieren; Anica hatte nur splitternde Geräusche vernommen. Vorsichtig stand sie auf, entfernte sich dann langsam, floh schließlich hastig rückwärts, ohne den Tod, der eingekapselt in der Röhre steckte, aus den entsetzten Augen zu lassen. Die Rakete war schlank, etwa einen Meter lang und sattgrün. Welch Ironie, kam der Journalistin in den Sinn, dass der Tod sich in die Farbe der Bäume, das Grün des Lebens kleidete.

Anica kam sich vor wie Blechspielzeug, das sich aufziehen lässt, damit es im Kreis herumläuft, und wenn es an einem Stuhlbein oder an einer Teppichkante hängen bleibt, es trotzdem immer weiter dieselben mechanischen Bewegungen macht. Ebenso erging es ihr. Wie eine Aufziehpuppe lief sie gegen Mauerreste, Autos und flüchtende Menschen, ehe sie ihren Roller erreichte.

Erleichtert klopfte sie sich den gröbsten Staub von ihrem Overall, schüttelte ihn aus den Haaren. Mit ihrem Taschenspiegel stellte sie verblüfft fest, dass sie wie durch ein Wunder keinen einzigen Kratzer abbekommen hatte. Verletzt war sie nicht, aber Herz und Gemüt bluteten ihr, denn sie musste feststellen, dass die Mauerfüße gesäumt waren von an die Hundert mehr oder minder verletzten Zivilisten, unter ihnen sicher zwei bis drei Dutzend Tote. So als zeigten sie sich mit ihrem grausigen Werk zufrieden, war der Granathagel abrupt abgerissen.

Die Reporterin wartete nicht auf das Eintreffen der Sanitäter und Leichenwagen, sondern kletterte auf den intakt gebliebenen Roller, ihr Herz schlug weiter wie eine ekstatisch geschlagene Bongotrommel, sie drehte den Zündschlüssel... der Motor sprang an, und sie setzte – ebenso schockiert wie grüblerisch – den Weg fort, so wie auch alle anderen Heilgebliebenen ihre Beschäftigungen wiederaufnahmen, als sei nichts geschehen. Überall wurden die Türen wieder aufgemacht, die Rollläden wieder hochgezogen, die Gaslampen wieder angezündet, und wie Ratten, die wieder ins Nest zurückkehren, fanden auch die bei der sinnlosen Flucht davongekommenen Bewohner wieder in ihre Häuser und Baracken zurück. Die, die zurückgeblieben waren, kamen stattdessen heraus, in den Händen einen Strick haltend, und wie Katzen, die nach dem Gewitter wieder aus ihren Schlupflöchern hervorkriechen, bewegten sie sich mit kleinen, vorsichtigen Schritten, um nur ja kein Geräusch zu machen, mit angehaltenem Atem, um jedes Geräusch zu hören, und mit weit aufgerissenen Augen, um die staubverdunkelte Luft durchdringen zu können. Neuerlich wurde die Waffenruhe in einem Sonderkommuniqué aus Rundfunklautsprechern verkündet, die schrillen Muezzins ratifizierten sie von den speerschlanken Minaretten herab mit Gebeten zu Allah, die Soldaten bestätigten sie von Panzern aus mit lauten Jubelrufen und feierlichen Flüchen, doch die Sarajlije, Sarajevos Einwohner, wollten der Sache nicht recht trauen. Erst nachdem sie sich versichert hatten, dass nicht mehr auf sie geschossen wurde, begannen sie rasch zu gehen, und es sah so aus, als würden sie etwas suchen. Sie waren auf der Suche nach ihren Toten. Und sobald sie einen gefunden hatten, blieben sie wortlos stehen, knoteten ein Ende des Stricks um dessen Knöchel oder Brustkorb, nahmen das andere Ende über ihre Schulter und schleiften ihn weg wie einen Schlitten. Tote zu finden war nicht schwer. Wo man auch hinschaute, überall sah man einen liegen.

 

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Roman 6

Halbmondlichtmeile (in Vorbereitung)

148 Szenen des Missbrauchs

von Norbert F. Schaaf

Szenenroman - ca. 432 MS-Seiten

Halbmond.
Henkel vom Krug.
Stück von Trauer.
Bake aus Hoffnung.



Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Autors urheberrechtswidrig und nicht gestattet. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigung, Übersetzung und/oder die Verwendung in elektronischen Systemen. © NOUVEL AAR - 2008

Unverkäufliche Leseprobe des Autors Norbert F. Schaaf, der als Ex-Bundeswehr-Soldat mit Ausbildung bei den Fallschirmjägern ein `NATO-Certificate´ über Auslandseinsatz besitzt:

1 Führerhaus eines Container-Trucks

Ein kolossaler Lastkraftwagen mit Containerauflieger brummt durch den späten Sommerabend unter tiefstehendem Sonnenball. Der dunkelhaarige Mann am Steuer, Mitte Dreißig mit gepflegtem Schnauzbart, pfeift das Lied von der Brücke am Kwai. Der Junge neben ihm spitzt stimmlos die Lippen.
Der strubbelhaarige Sechsjährige rutscht unruhig auf dem Beifahrersitz hin und her: "Papa, sind wir jetzt bald wieder zurück?"
Der Fahrer bläst die Melodie abrupt ab. "Gleich, mein Junge."
"Darf ich erst den Container mit abliefern?"
"Du weißt, dass deine Mutter dich noch erwartet."
"Meine Mutter?"
"Sie behandelt dich wie eine Mutter. Das haben sogar die vom Jugendamt festgestellt."
"Wissen die, dass ich bis spät in die Nacht aufbleiben muss?"
"Ich dachte, dass du gerne mit mir fährst."
"Kann ich heute nicht bei dir bleiben, Papa?"
"Es ist doch nicht so spät. Bestimmt warten noch Gäste auf dich, Marcel. Du weißt, dass es immer gut ankommt, wenn du dich sehen lässt. Du schuldest es deiner Mutter."
"Meiner Mutter?"
"Du hast dankbar zu sein. Das musst du mir versprechen."
"Wie lange noch muss ich dankbar sein? Wie viele Abende?"
"Ich frage ja auch nicht, wie lange ich noch den Lkw fahren muss. Ich mache es einfach. Miete, Gas, Wasser, Licht wollen bezahlt sein. Wir können doch froh sein, im Lokal immer Essen und Trinken zu bekommen. Übrigens soll ich den Container heute gleich hinterm Haus abstellen."
"Was ist denn drin?"
"Ich weiß nicht genau. Nachschub fürs Geschäft."
"Hä?"
"Das heißt bitte." Der Fahrer nimmt zwei große Schlucke aus einer halbleeren Wasserflasche.
"Ist auf der Flasche Pfand drauf, Papa? Darf ich sie haben?"
"Wenn sie leer ist, ja."
"Sind wir gleich schon zurück, Papa?"
"Bald."
"Papa, was ist ein Wichser?"
"Was dich nichts angeht. Du hast wieder das viel zu große Sweatshirt an, Marcel, außerdem ist es zerrissen; nachts bist du zu dick angezogen, willst dich nicht ausziehen! Hast du wieder mit der Schere in deinem Haar herumgeschnippelt? Wisch dir mal den Mund und die Rotznase! Man möchte meinen, du machst dich absichtlich unattraktiv."
"Hä?"
"Bitte heißt das."
"Was ist das: und attaktiv?"
"Unattraktiv heißt das. Also hässlich. Dabei solltest du dich freuen, dass du so ein hübscher Kerl bist!"
"Papa, ist die Chefin attaktiv, damit viele Gäste kommen?"
"Sag nicht immer Chefin. Für dich ist sie deine Mutter. Geht das in deinen Kopf?"
"Sind wir schon bald da?"
"Gleich." Mit gespitzten Lippen nimmt der Fahrer die Filmmelodie wieder auf.

2 Im Container

Der schwankende Raum hinter der Zugmaschine ist fast völlig dunkel. Durch wenige Ritzen nur dringen Lichtfetzen der unter den Horizont abtauchenden Sonnenscheibe von draußen herein. Zwischen Paletten mit gestapelten Kartons kauert eine Gestalt. Sie hält sich krampfhaft fest, wenn das Fahrzeug scharfe Kurven passiert, der zarte Körper schwankt, der Kopf wird hin und her gerissen. Das flackernde Weiße um die dunklen Pupillen leuchtet unter den nervös auf- und zuklappenden langbewimperten Lidern, aus den Augenwinkeln heraustretende Tränen glänzen. Schließlich bleiben die Augen geschlossen, schwarze Dunkelheit bricht herein.


3 Hinter dem Lokal HALFMOONLIGHT-SALOON

Der Lkw hält mit einem Ruck. Über dem schwärzlichen Horizont wallt der Halbmond herauf; rötlich, kitschig wirkend blinkst er durch den Abenddunst.
"Komm, mein Junge."
"Muss das sein, Papa?"
"Von der Fahrt zu niemand ein Wort, Junge. Das ist ein Geheimnis zwischen uns." Er wischt dem Jungen Mund und Nase, glättet notdürftig die widerborstigen Haare, was Marcel widerwillig geschehen lässt.
"Kann man sterben, wenn man ein Geheimnis erzählt, Papa?"
"Ein Geheimnis muss stets ein Geheimnis bleiben, Marcel."
"Kannst du die Flasche austrinken, Papa?"
Der Vater leert die voluminöse Plastikflasche in wenigen Schlucken und reicht sie seinem Sohn. Sie gehen ums Haus, während dunkle Gestalten auf die Containerrückseite zugehen, betreten den Gastraum. Jede der Lampen über den Tischen und an den Wänden leuchtet schwach als kitschig-kupferner Halbmond - ähnlich dem wirklichen Erdtrabanten draußen.
"Wird aber auch Zeit", sagt eine Frau Mitte Dreißig ihre fackelrote Haarpracht schüttelnd; sie ist stark geschminkt in vergeblichem Versuch, die harten Gesichtszüge zu kaschieren. "Geh sofort aufs Zimmer, Kleiner, der Herr Doktor wartet bereits. Und du bist schön lieb!"
Widerstrebend trottet der Junge mit der Plastikflasche in der Hand die Wendeltreppe hinauf, die an den Decken perfekte Kreise bildet.
"Gib mir Schlüssel und Papiere", sagt die Frau zum Lkw-Fahrer. "Dein Job ist für heute erledigt. Hau dich zu Hause aufs Ohr."
Der Fahrer nickt, tritt aus der Tür in die Schwärze der Nacht.

4 Hintereingang des HALFMOONLIGHT-SALOON

Die Schwärzlichkeit weicht sukzessive, wenn die Tür sich öffnet.
Unter dem glänzenden Halbmond, vor dem Hintergrund des aufgesperrten Containers, an dem sich eine männliche Gestalt mit Bürstenhaarschnitt zu schaffen macht, steht eine blutjunge Person im Türrahmen.
"Du bist also die Neue?" fragt die Wirtin in pointiertem Hochdeutsch, freilich stark gefärbt durch derben mundartlichen Regionalidiom. "Aleyda, wie?"
"Ja, Frau ..."
"Lady Liberty sagt man, wenn ich bitten darf. Ich bin deine Chefin. Hast du keinen Koffer?"
"Man hat mir gesagt, dass ich hier alles bekommen würde, was ich brauche."
"Komm schon rein."
Die Gestalt am Container blickt der entschwindenden Frau nach. Das silberne, kalte Halbmondlicht prallt ab an der wie eine Falle zuschnappenden Kupfertür, versehen mit einem Spion wie der Vordereingang.
"Ist dies keine Cafébar?" fragt die junge Person. Sie schaut sich um: Die Einrichtung hat nichts mit ihren Phantasien auf der Anreise zu tun, von wegen elegant und erlesen! Und am Licht scheinen sie hier auch zu sparen.
"Café, Bar, Bistro, Hotel - was ist schon der Unterschied. Hauptsache, du behandelst die Kunden lieb, will ich hoffen."
Dieses Wort "lieb" jagt der jungen Frau einen unvermittelten Schrecken ein - ein Wort wie ein Hinterhalt. "Ich will nicht Kunden lieb behandeln! Ich möchte servieren."
"... indem du ein Gesicht ziehst, he?!"
Aleyda spürt die Unpassendheit ihrer Antwort; die Sätze entschlüpfen ihr unwillkürlich - wie Abwehrschreie. Verängstigt fragt sie: "Aber ich sehe keine Gäste außer den zwei an der Theke. Kommen denn keine anderen mehr?"
Der Barmann, bislang versteckt hinter einer der Freiheitsstatue nachempfundenen Säule am Anfang der Theke, beugt seinen Kahlkopf mit stoppeligem Haarkranz vor; grinsend hält er einen Zahnstocher zwischen wulstigen Lippen, seine warmen Braunaugen sehen an der jungen Frau auf und ab. "Ziemlich vorwitzig, die Kleine", raunt er mit einem Auge knipsend. Er stützt eine Hand an den roten Flammenhaaren der Statue. "Was kümmert´s dich? Los, geh runter!"
Die Wirtin zeigt auf die Wendeltreppe, die von der Mitte des Raumes nach oben wie nach unten führt. Aleydas Herz beginnt wild zu pochen. Sie versteht nichts, weiß nichts mehr, ist sich nur einer Sache sicher: Diese Treppe darf sie nicht begehen - weder nach unten, noch nach oben.

5 Das Kussmundzimmer

Der Junge tritt vor der Tür auf der Stelle, klopft zaghaft.
"Komm schon rein!" knarrt eine männliche Stimme kalt.
Marcel betritt den Raum, der ausgestattet ist wie ein Wohnzimmer, freilich mit einem französischen Bett. Auf dem Beistelltisch stehen ein halbvolles Cognacglas, eine Weinbrandbouteille und drei Colaflaschen. Der rauchende Mann auf dem Bett im Morgenmantel zappt den Bildschirm schwarz, auf dem gerade noch der Fetzen einer Handlung zu sehen ist mit Menschen ohne Bekleidung - mehrere eher zierliche Personen um einen Erwachsenen.
"Guten Abend, Herr Doktor", murmelt der Junge schüchtern.
"Du musst mich noch mal untersuchen, Junge", sagt der Mann, "mir ist ganz anders."
"Sind nicht Sie der Doktor?" fragt der Junge scheu.
"So ein Doktor bin ich nicht", widerspricht der graumelierte Mann. Er schlägt den Morgenmantel zurück. Seine Männlichkeit spreizt sich für ihn erfreulich fest, beinahe schmerzhaft ab. "Sag nicht, dass du so etwas noch nie gesehen hast, Junge!"
"Warum soll ich es nicht bei meinem Papa gesehen haben, wenn sie ...?"
"Na siehst du. Es ist ganz hart und verspannt. Du musst es entspannen. Komm her! Und stell die blöde Flasche hin."

6 Gastraum des HALFMOONLIGHT-SALOON

"Bitte, Frau Liberty", fleht Aleyda, "ich möchte nicht hier bleiben, ich will wieder zurück. Geben Sie mir bitte das Geld für die Rückfahrt, ich werde es Ihnen zurückschicken."
"Wo hat man bloß ein solches Mädchen aufgetrieben?" keift die Chefin. "Geld für die Rückfahrt! Du bist wohl verrückt! Wenn du Geld willst, meine Kleine, musst du es dir schon verdienen. Denn dazu bist du schließlich hier."
Aleyda hört nicht auf sie, krallt die Finger beider Hände zusammen, als klammere sie sich an den unbändigen Wunsch, von diesem Ort wegzukommen, setzt noch einmal an: "Nach meiner Rückkunft zahle ich Ihnen Ihr Geld sogleich zurück, ehrlich. Meine Verwandten werden es mir geben, ich schicke es Ihnen dann umgehend."
Die Chefin lacht trocken kurz auf. "Du wirst reichlich viel Geld brauchen, wenn wir dir hier die Rechnung präsentieren: Außer den Kosten für die Rückfahrt wirst du das zurückerstatten müssen, was ich an Ablöse für dich hingeblättert habe. Das ist ganz schön viel, reichlich viel."
"Meine Familie hat für mich bezahlt, alles Gesparte!"
Der Mann an der Bar, weiterhin auf seinem Zahnstocher herumkauend, mischt sich neuerlich ein. "Sei mal ganz ruhig, Kleine, wir werden dir schon vorrechnen, was du uns schuldig bist! Und da kannst du Gift drauf nehmen: Du kostest uns eine schöne Stange! Deshalb bleibst du erst mal fein hier, und wenn du nicht lieb - sehr lieb - bist, dann wird man dir die Flötentöne, äh, die guten Manieren schon beibringen!"
Aleyda hebt erstaunt die Augenbrauen. "Wem schulde ich hier was? Wem koste ich so viel?"
"Hast du nicht gerade gehört, dass man dich gekauft hat?"
"Ich hör wohl nicht richtig, bin ich gekauft worden? Aber man kann mich doch nicht kaufen!"
"Scheißdreck noch mal!" schimpft der Barmann, spuckt dabei den zerkauten Zahnstocher aus. "Jetzt hab ich aber die Schnauze voll! Geh in dein Zimmer und mach dich fertig! Lady Liberty zeigt´s dir. Und schön das hübsche Mäulchen halten, sonst bekommst du eine Tracht Prügel, die du im Leben nicht vergisst!"
Mit einem Satz stürzt Aleyda zur Tür. Nur Flucht! schießt ihr durchs Hirn, ich muss fliehen!
Im selben Augenblick tritt der nicht mehr junge Mann mit Bürstenhaarschnitt und Alkoholfahne durch den Streifenvorhang eines Séparées, streckt den Arm aus, erwischt sie und krallt seine Hand in Aleydas Arm.
"Au!" schreit sie. "Lassen Sie mich, ich flehe Sie an!" stöhnt sie auf. "Ich will weg von hier!"
Sie schaut zu dem Mann hoch, durch ihre Tränen hindurch versucht sie, seinen Blick zu erfassen: helle, glasige Augen ohne jeden Ausdruck. Ihr panisches Schreien hallt wider in der stillen Leere des nach kaltem Rauch riechenden Raumes. Der Griff des Mannes bleibt ungelockert. Aleyda wehrt sich verzweifelt, es nützt ihr freilich nichts.
"Lass sie los!" befiehlt die Chefin, "damit sie endlich begreift."
Aleyda wirft sich gegen die Tür, eine Hand tastet suchend nach der Klinke, die es nicht gibt. Bestürzt reißt sie die Augen auf, als frage sie sich, wie sich die Tür wohl öffnen ließe. Sie stemmt sich dagegen, zerrt daran, trommelt mit zierlichen Fäusten auf den kupferbeschlagenen Türflügel. Draußen wird sie doch wohl irgendjemand hören und ihr öffnen!
"Warum strengst du dich so an?" spottet die Chefin. "Weder von innen noch von außen wird dir jemand aufschließen."
"Du bist im Puff, Kleine", fügt der Barmann hinzu.
"Halt die Klappe, Schiebedach!" schnauzt die Chefin. "Eine Bar mit Hotel! Wir sind ein seriöses Haus."
Ein Sex-Salon! schießt es Aleyda in den Kopf. Ich bin in einer Nachtbar, wie sie hierzulande einen Sex-Salon nennen! In so einem, wie es sie zu Hause für die Betuchten gibt! Daher das gedämpfte rote Lampenlicht! Ein Sex-Salon! Das Wort dröhnt in ihrem Schädel. Nein, denkt sie, ich will nicht! Eher lasse ich mich umbringen, als dass ich in einem Sex-Salon bleibe!

7 Das Kussmundzimmer

Der Junge steht stocksteif.
"Komm her zu mir", lockt der Doktor. "Ich tu dir nichts."
Der Junge verharrt geduckt.
"Na komm schon!" sagt der Mann mit leicht drohendem Unterton. "Oder soll ich mit deinem Vater sprechen? Du darfst dann auch die Pfandflaschen nehmen."
Zögerlich tritt der Junge heran - Hände in den Hosentaschen.
Der Doktor zieht die Rechte des Jungen heraus und führt sie an seinen Unterkörper. "Du musst es anfassen. So."
Der Junge schüttelt heftig den Kopf.
"Na, na", sagt der Doktor. "Was ist denn? Fasst deine Mama deinen Papa denn gar nicht an?"
Der Junge neigt den Kopf. Vor seinen Augen baumelt das Goldkettchen des Doktors; auf dem Anhänger erkennt er Christopherus mit dem Jesuskind auf dem Arm, das ein Kreuz in Händen hält.
"Na siehst du", sagt der Doktor. Er führt die Hand des Jungen, der widerstrebend den Oberkörper herunterbeugt.

8 Gastraum im HALFMOONLIGHT-SALOON

"Ein schönes Weib ohne Zucht ist wie ein goldener Reif im Rüssel der Sau", sagt einer der Gäste an der Theke.
"Wer sagt das?" fragt der andere.
"Die Bibel in den Sprüchen Salomonis, elf, zweiundzwanzig."
"Wirklich salomonisch, solltest zur Quizshow."
"Ich will weg!" schreit Aleyda in ohnmächtiger Wut.
"Nun reicht´s aber!" schnauzt der Barmann. "Man hat schließlich nicht fürs Plärren bezahlt! Du spurst jetzt, und zwar auf der Stelle, das haben andere auch schon gemusst! Ob´s dir passt oder nicht, du schuldest uns ne Menge Geld und wirst es schon ausspucken müssen. Später, falls du dann noch Lust verspürst, wird sich dir die Tür öffnen. Im übrigen hat sich hier noch keine über die Arbeit beklagt. Eine, die was vom Geschäft versteht, verdient sich hier eine goldene Nase. Erst recht, wenn sie so gut aussieht wie du. Freilich will die Kundschaft bei uns fix bedient werden. Doch nun hab ich genug geplappert: Geh jetzt sofort runter in dein Zimmer und mach dich frisch!"
"Komm schon!" befiehlt die Chefin ihr. Aleyda scheint ihre Lage noch immer nicht so richtig begriffen zu haben, sie rührt sich nicht von der Stelle, verschränkt nur die Arme auf der Brust.

9 Das Kussmundzimmer

Der Doktor stöhnt wollüstig. "Deine Hand um meine Wurzel geklammert lässt mich den Genuss fühlen der Eisenhärte meines Mastes. Etwas Wunderbares ist der Prügel des Mannes, Junge, weich ist er ein leerer Lumpensack, geschwollen und steif befiehlt er der Welt. Heute hast du mich wieder zu der ruhmreichen Härte meiner heiligen Rute befähigt. Es gibt am Körper des Mannes nichts als den Prügel, nichts besitzt diese zärtlich-strenge Kraft, herrlich!"
Der Junge blickt verständnislos, während sich der Doktor rasch die Hosen überstreift und sich schon zum Gehen wendet.
"Das Geheimnis bleibt unter uns, Marcel, ja?" ruft der Doktor ins Zimmer zurück. "Du willst doch nicht, dass deinem Paps etwas passiert, gell nein?" Seine Kleidung ordnend tritt der Doktor aus der Tür, geht die Treppe herunter. "Der Kleine ist kaum besser", sagt er, "als letztens; dafür zahl ich nicht den vollen Preis!"
"Sie werden uns doch nicht hängen lassen, Doktor?" fleht die Chefin. "Wie soll ich Ihnen auf Ihre Währung denn Rabatt gewähren?"
"Neues Pferdchen im Stall?" fragt der Doktor mit Blick auf das Mädchen. "Da werden sich meine Jungs aufs Einreiten freuen, Lady. Na denn Tschüß."
"Beehren Sie uns bald wieder, Dok", flötet die Wirtin.
Der Doktor schaltet sein Handy ein. Eine Techno-Stimme plärrt: "Sie haben neunundsechzig Anrufe." Der Doktor setzt seine Hornbrille auf, tippt eine Taste, nimmt den Apparat ans Ohr, während er zum Ausgang tritt.
Während dem Doktor per Knopfdruck unterm Tresen die Tür geöffnet wird, macht die Chefin einen Schritt auf Aleyda zu. "Gehst du jetzt runter oder soll ich dich an den Haaren herabziehen?"
Die Chefin stößt Aleyda vorwärts. "Nun geh schon, du fängst gleich heut Abend an, und es ist nur in deinem Interesse, wenn du lieb bist zur Kundschaft. Wenn nicht, wird sich Schiebedach um dich kümmern."
Der Barmann wischt sich grinsend über die Halbglatze.
Aleyda steht tränenüberströmt. Was auch gesagt wird, sie hört nur ihr eigenes Schluchzen.
"Wenn ein Weib weint, es den Mann zu täuschen meint", sagt der eine Gast.
"Weint ein Weib, so sinnt es gewiss auf listige Tücke", gibt der andere seinen Senf dazu. "Sagt auch Cato."
"Welcher Late-Night-Fuzzy soll das gesagt haben?"

In Vorbereitung



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